Wackelt Entschädigung wegen IBM?

Wegen des harten Kurses in der Entschädigungsfrage gerät der Sprecher der Stiftungsinitiative der Wirtschaft, Gibowski, unter Druck. Dieser besteht darauf, erst das Geld auszuzahlen, wenn keine Klagen mehr anhängig sind

BERLIN taz ■ Die Klageschrift, die vor zehn Tagen beim New Yorker Bezirksgericht einging, trägt das Aktenzeichen 1-01-00794-SJ. Einer der Kläger: Thomas Grossman. Als die Nazis seine Familie 1944 nach Auschwitz deportierten, war er 16 Jahre alt. Zusammen mit vier weiteren jüdischen Zwangsarbeitern hat der heute 73-Jährige den US-Konzern IBM verklagt – wegen „Komplizenschaft beim Holocaust“. IBM habe zugelassen, dass das Nazi-Regime seine Lochkarten-Maschinen in den Vernichtungslagern einsetzte.

Doch es geht nicht allein um die moralische Frage der Mitverantwortung für NS-Verbrechen, sondern um aktuelle juristische Probleme: Denn mit der neuen Klage in den USA droht die mühsam gefundene Entschädigungsregelung in Deutschland zu scheitern. Der Sprecher der Stiftungsinitiative der Wirtschaft, Wolfgang Gibowski, warf der Politik vor, die möglichen Konsequenzen zu verharmlosen. Von der Klage wäre auch IBM Deutschland als Rechtsnachfolger der alten IBM-Tochter Dehomag betroffen. Die Stiftungsinitiative will ihren Anteil von 5 Milliarden Mark erst auf das Konto der Bundesstiftung überweisen, wenn alle Klagen abgewiesen sind. Bisher galt, dass nur die zum Zeitpunkt der Entschädigungsregelung anhängigen Fälle abgewiesen sein müssen.

Wegen seiner Kurses gerät Gibowski selbst unter Druck. SPD-Innenpolitiker Bernd Reuter, Mitglied im Stiftungskuratorium, forderte gestern erstmals personelle Konsequenzen: Gibowskis Äußerungen seien nicht länger tragbar. „Für mich ist Herr Kohler von der Rechtsarbeitsgruppe der Initiative Verhandlungspartner, nicht Herr Gibowski“, sagt sein CDU-Kollege Wolfgang Bosbach zur taz. Ob das die Sache vereinfacht, ist fraglich. Erst Anfang des Monats hat Klaus Kohler, Chefjustiziar der Deutschen Bank, die Sicht der Wirtschaft dargelegt. Das auf Englisch gehaltene Schreiben, glaubt Lothar Evers vom Bundesverband Information und Beratung NS-Verfolgter, richte sich in Wahrheit an die US-Richterin Shirley Kram. Diese hatte eine Abweisung der dritten Sammelklage auf den 28. Februar verschoben – unter anderem, weil die Industrie ihren Teil noch nicht beisammen habe. Der wäre es gar nicht so unrecht, meint Evers, wenn das Verfahren in den USA weiter hänge, habe doch auch die groß angelegte Sammelaktion unter deutschen Firmen keinen Erfolg gezeitigt.

Die Wirtschaft, fordern Reuter, Bosbach und Evers unisono, solle endlich die eingesammelten 3,6 Milliarden Mark auf das Stiftungskonto überweisen und damit ein „Zeichen des guten Willens“ setzen. Eine vorzeitige Zahlung sei unmöglich, entgegnet der Verhandlungsführer der Wirtschaft, Manfred Gentz. „Wir verwalten das Geld nur treuhänderisch.“ Völliger Unsinn, findet Evers. Die Stiftungsinitiative besitze nicht einmal eine Rechtsform. NICOLE MASCHLER