scharping in peking
: Ende der Scheu

Als amerikanische Nato-Bomber im Kosovokrieg die chinesische Botschaft in Belgrad zerstörten, hatte das zumindest eine positive Konsequenz: China war plötzlich ein Teil der Krise und damit auch ein Teil der Lösung. Fortan bemühte sich der Westen und insbesondere die Bundesrepublik, China in den Verhandlungsprozess einzubinden. Zum Dank verzichtete Peking später auf sein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat, als nach einer Lösung für das Kosovo gesucht wurde.

Kommentarvon GEORG BLUME

Nun besucht Rudolf Scharping als erster deutscher Verteidigungsminister die Volksrepublik – und man muss sagen: gerade noch rechtzeitig. Denn wie zunächst beim Einsatz internationaler Friedenstruppen im Kosovo fühlt sich Peking bei der Diskussion um die geplanten neuen Raketenabwehrsysteme nicht ernst genommen.

China hat allen Grund, besorgt zu sein. Die geografische Lage der amerikanischen Verbündeten in Asien bietet sich für die Stationierung regionaler Raketenabwehrsysteme (Theater Missile Defense) geradezu idealtypisch an. Japan und Taiwan sind Inseln, Südkorea ist ein Halbinsel, die sich jeweils auch mit schiffgestützten Abwehrsystemen gegen China verteidigen lassen. Hinzu kommt, dass China heute die schwächste Atommacht ist und über die ältesten Trägersysteme verfügt. Nur etwa zwanzig chinesische Langstreckenraketen könnten theoretisch die USA erreichen. Das einzige Atom-U-Boot der Volksrepublik ist seit Jahren fahruntüchtig. Kein Wunder, dass Peking glaubt, es wäre selbst das erste Opfer neuer Raketenabwehrsysteme.

China fehlt jede atomare Verhandlungsmasse. Kein bestehendes Vertragswerk sieht Konsultationen vor. Die Folgen: Chinas Generäle werden mehr Atomwaffen verlangen – von derzeit ein paar Dutzend auf ein paar hundert in zwei, drei Jahren bis zu ein paar tausend am Ende des Jahrzehnts.

Doch noch lässt sich mit den Chinesen reden. Scharping hat in Peking den richtigen Ton angeschlagen: Raketenabwehrsysteme seien kein Beitrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen. Dass sie in Wirklichkeit das Gegenteil bewirken, wollte der Minister nicht mehr sagen. Aber sein Besuch deutet auf ein Ende der europäischen Scheu, mit China in atomaren Rüstungsfragen einer Meinung zu sein. Das war man übrigens auch schon in den Achtzigerjahren, als sich Europäer und Chinesen gemeinsam und erfolgreich gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen wehrten.

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