TROTZ INTERNATIONALER ABKOMMEN WIRD EIN BIOTOP ZERSTÖRT
: Hamburger Havarie

Die Löffelente muss den Löffel abgeben, am Schierlings-Wasserfenchel geht der gleichnamige Becher nicht vorbei. Wie der seltenen Entenart und jener Pflanze, die weltweit einzig in Europas größtem Süßwasserwatt Mühlenberger Loch existiert, wird das Wasser nun Dutzenden von Wasservögeln, Fischen und Pflanzen, die zumeist auf der Roten Liste bedrohter Arten stehen, abgegraben. Die gestern gerichtlich genehmigte Zerstörung des Biotops an der Hamburger Unterelbe ist eine der schmerzhaftesten Niederlagen seit Jahren für den Umweltschutz in Europa. Das Mühlenberger Loch genoss bis gestern die denkbar höchsten rechtlichen Schutzkategorien: Das Landschafts- und Vogelschutzgebiet nach deutschem Recht stand zudem unter dem vermeintlich sicheren Schirm der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union, es gehört zum EU-Schutzgebietssystem „Natura 2000“ und unterliegt der internationalen Ramsar-Konvention als Feuchtgebiet von globaler Bedeutung.

Sechsfach gesichert, und doch hat alles nichts genutzt, weil ein Oberverwaltungsgericht meint, im Eilverfahren – ohne abschließende Prüfung in der Hauptsache – die juristisch „einstweilige“, aber faktisch endgültige Zerstörung dieses auf dem Kontinent einzigartigen Biotops genehmigen zu können. Und das, ohne die naturschutzrechtlichen Ausführungen der Vorinstanz zu würdigen oder gar zu widerlegen. Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte den Baustopp, der gestern aufgehoben wurde, unter anderem genau damit begründet, dass die Hamburger Planungen wegen Verstoßes gegen europäisches Naturschutzrecht rechtsunwirksam sein. Die höhere Instanz jedoch verschiebt die Klärung dieser Frage um Jahre ins Hauptsacheverfahren. Dass dieses sich erledigt haben dürfte, weil bis dahin das Mühlenberger Loch bereits erledigt wurde, gehört zu den juristischen Purzelbäumen der ganz speziellen Art. Und die sorgen für nachhaltige Schwindelanfälle bei Umweltschutzorganisationen. Was in Hamburg für Recht erkannt wurde, droht ein Präzedenzfall für ähnliche Fälle in der EU zu werden.

Die Glaubwürdigkeit und Durchsetzbarkeit europäischen Naturschutzrechtes insgesamt steht zur Disposition und droht zur Makulatur zu werden. Um dies zu verhindern, werden mehrere Verbände und die jetzt unterlegenen KlägerInnen vor das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof ziehen. Selbst wenn sie damit erfolgreich sein würden, hätte das für das Biotop an der Elbe vermutlich keine Bedeutung mehr. Für die Löffelente wird es ohne Bedeutung sein, wenn die Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen dereinst für unrechtmäßig erklärt wird. SVEN-MICHAEL VEIT