Für eine Zukunft ohne Raubbau

Jenseits der politischen Grabenkämpfe und des alltäglichen Durchwurschtelns soll das Gremium Ziele festlegen und „geglückte Beispiele publik machen“

aus Berlin BERNHARD PÖTTER

Seit Januar ist das Thema Nachhaltigkeit in aller Munde – ohne dass jemand es so nennt. Denn bei der „Agrarwende“, die sich Verbraucherministerin Renate Künast auf die Fahnen geschrieben hat, wird das Wortungetüm plötzlich greifbar: der Wechsel weg von einer Landwirtschaft, die auf Dauer nicht durchzuhalten ist, sondern Skandale wie BSE produziert, hin zu einem Wirtschaften ohne Raubbau an Natur und Menschen. Weniger Rinder, die mit weniger Gülle das Wasser und die Luft entlasten, weniger Erosion, die den Boden zerstört, Futtermittel vom Hof statt vom anderen Ende der Welt.

So konkret kann Nachhaltigkeit sein. Doch weil es nicht dauernd überall Skandale gibt, hat die Bundesregierung das sperrige Thema nun institutionalisiert. Der „Rat für Nachhaltigkeit“, in den die Regierung gestern 16 Vertreter von Industrie- und Umweltverbänden, Gewerkschaften, Unternehmen, Forschungsstellen und Kirchen (siehe Kasten) berufen hat, soll als Expertengremium die Bundesregierung beraten und geichzeitig das bislang fast unbekannte und schwammige Konzept der Nachhaltigkeit in der Bevölkerung verbreiten.

Damit ist die Bundesregierung spät dran. Im Herbst 1998 wurde das Gremium in der Koalitionsvereinbarung gefordert. Es soll ab März zusammen mit dem „grünen Kabinett“ der Staatssekretäre aus neun Ministerien eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie erarbeiten. Die soll dann eigentlich auf der UN-Konferenz in Johannesburg im Sommer 2002 zehn Jahre nach dem UN-Umweltgipfel von Rio vorgestellt werden. „Das schaffen wir nicht mehr“, heißt es aus den Regierungsfraktionen. Also wird sich die Regierung auf die Themen Energie, Verkehr und Landwirtschaft beschränken und nur einen Bericht vorlegen.

Der Rat hat eine schwierige Aufgabe vor sich: Jenseits der politischen Grabenkämpfe soll er an einer „Strategie“ arbeiten: Ziele festlegen und die Wege dahin benennen. „Wir müssen über Instrumente reden, sonst wird das nichts“,meint etwa der Chef des Umweltverbandes Nabu, Jochen Flasbarth. Er begrüßt, dass „die Regierung sich keine Claqueure geholt hat“. Auch seine Kollegin vom BUND, Angelika Zahrnt, will sich kräftig einmischen: „Die Konzepte zur Agrar-, Energie- und Verkehrswende gibt es bereits. Der Rat soll deren Umsetzung von der Regierung einfordern und besonders geglückte Beispiele publik machen.“

Positive Beispiele will auch Ratsmitglied und Shell-Aufsichtsrat Fritz Vahrenholt herausstellen. „Ein Vorbild für die gesamte Gesellschaft könnte die deutsche Forst- und Wasserwirtschaft sein. Sie dürfen keinen Baum fällen und keinen Tropfen Wasser entnehmen, die sich nicht erneuern“, sagte Vahrenholt zur taz. Die Deutschen dürften auch nicht aus den Augen verlieren, dass sie einen großen Beitrag zur Belastung der globalen Umwelt leisten, aber auch viele Lösungsmöglichkeiten anbieten. Auch Heinz Putzhammer aus dem DGB-Bundesvorstand ist überzeugt, dass „nur die Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit eine sinnvolle Weiterentwicklung der Gesellschaft ist“. Genau solche Formulierungen lassen die Umweltschützer von Greenpeace daran zweifeln, dass bei dem Gremium etwas herauskommt: Andere Gruppen wie der „Energiedialog“ hätten auch nichts gebracht, heißt es aus Hamburg. Eine Einladung hat Greenpeace nicht bekommen.

Der Rat soll auch als Labor für gesellschaftliche Konflikte dienen, heißt es in der Regierung. Wenn etwa bei der Energiefrage der BDI und der BUND aufeinander prallen, soll in kleiner Runde nach Lösungen gesucht werden. Der Rat, mit einer kleinen Geschäftsleitung am Wissenschaftszentrum Berlin angebunden, soll gerade in den drei umstrittenen Bereichen Energie, Verkehr und Landwirtschaft die Lobbygruppen zusammenführen und ihren Streit durch neutrale Mitglieder wie etwa die Bischöfin von Hannover, Margot Käßmann, moderieren.

Außerdem wollen die Experten das dröge Thema Nachhaltigkeit populär machen. Aber das Blitzlichtgewitter vor den Sitzungen bleibt den Teilnehmern erspart. Stars wie Boris Becker, Marius Müller-Westernhagen oder Gabi Bauer, auf die das Kanzleramt ursprünglich hoffte, sind jetzt doch nicht dabei.