Und Colin Powell lächelte

Der US-Außenminister verzeiht Joschka Fischer dessen Vergangenheit. Dafür mag der deutsche Außenminister die Luftschläge gegen Irak nicht kritisieren

aus Washington PATRIK SCHWARZ

Die Vergebung der Sünden kam so sanft wie ein Tennisball übers Netz gelobbt. Joschka Fischer steht noch Minuten danach die Erleichterung ins Gesicht geschrieben – und er bedenkt Colin Powell mit einer Dankbarkeit im Blick, wie der neue US-Außenminister sie in seiner kurzen Zeit im Amt wahrscheinlich noch nie geerntet hat.

Der „Benjamin Franklin State Dining Room“ ist selbst für die Maßstäbe des amerikanischen Außenministeriums ein feierlicher Ort: Aus rotem Stein gehauene Säulen, Goldkapitelle, schwere Ölgemälde und ein ehrfurchtheischender Panoramablick über Washington. General a. D. Colin L. Powell, Held des Märchens vom Aufstieg eines Schwarzen aus der Bronx, ist hier noch keine vier Wochen Hausherr, doch der Golfkriegsveteran füllt den Saal allein durch seine Anwesenheit. Vier Fahnen im Rücken, zwei deutsche und zwei amerikanische, steht er auf einer flachen Bühne und antwortet den Journalisten zu seinen Füßen.

Neben ihm wartet Herr Fischer aus Deutschland. Ob er will oder nicht, der Mann mit der umstrittenen Vergangenheit wartet nur auf eine Frage: Halten die Amerikaner ihn für tragbar? Er hält ein offenes „Ja“ für undenkbar und fürchtet die Frage doch, soviel ist deutlich geworden in den zwei Tagen seines Besuchs. Er glaubt, seine Gegner in der Heimat hoffen auf sie wie auf einen mächtigen Zauberspruch, der den Außenminister mit einem Streich zurück in ein Aschenputtel verwandeln kann, das aus den goldenen Sälen für immer verbannt wird. Joschka Fischer muss nicht lange warten.

„Minister Powell, Minister Fischer war gegen den Vietnamkrieg, gegen amerikanische Raketen in Deutschland und gegen den Golfkrieg. Jetzt sitzen Sie hier beisammen. Was halten sie davon?“ Der mächtige Mann dreht sich zu seinem Gast, seine Stimme tönt tief, sein Lächeln wird breit. „Amazing, isn’t it?“, sagt Colin Powell, „unglaublich, oder?“

Der Saal bricht in Lachen aus, Joschka Fischer, haltlos grinsend, fährt sich wie ein Schuljunge durchs Haar, der Spuk ist gebrochen, die Vergangenheit gebannt: Der ehemalige Straßenkämpfer darf weiter mitspielen auf der Bühne der Weltpolitik. „Die besten Freunde“ seien sie jetzt, sagt der US-Außenminister noch, und Vergangenes sei vergangen. Bei der Fahrt allein im Aufzug verständigen sich der Exmilitär und der Exsponti auf ihre künftige Anrede: „Colin“ und „Joschka“, ganz wie zu Madeleines Zeiten.

Erst Fischers Euphorie für Powell erklärt die politisch brisanteste Entscheidung, die der deutsche Minister bei seinem Besuch traf: Wie stellt sich die Bundesrepublik zu den amerikanisch-englischen Bombenangriffe auf den Irak? Seit dem Wochenende war Fischer gedrängt worden, die Luftschläge zu verurteilen. Bei seiner Pressekonferenz mit Powell schließlich bricht er das Schweigen. „Wir haben die Entscheidung, die unsere Verbündeten in einer unglaublich schwierigen Situation trafen, nicht zu kritisieren“, lautet die Formel – eine klare Absage an die Gegner der Militäraktion, von der designierten grünen Parteivorsitzenden Claudia Roth bis zu Deutschlands engstem EU-Partner Frankreich.

So viel Ärger nimmt der politisch eher zu vorsichtige Außenminister normalerweise nicht auf sich. Doch nicht nur persönlich, auch politisch ist Powell für den Deutschen die Entdeckung seines Antrittsbesuchs bei Präsident Bushs neuer Mannschaft. Immerhin war Fischers Visite vorrangig darauf angelegt, herauszufinden, mit wem er in Washington gut auskommt. Fischers Statement zu Irak entspringt daher auch der Hoffnung, Powell werde sich in den internen Rangeleien der neuen Regierung durchsetzen.

Im Kontrast zu den Plänen der militärischen Falken um Vizepräsident Dick Cheney setzt der US-Außenminister auf eine politische Lösung im Irak, in der Fischer seine eigenen Ideen zur friedlichen Krisenbewältigung wiedererkennt. Zwar hält auch Powell die jüngsten Militäreinsätze für gerechtfertigt, doch forderte er gestern, die internationalen Sanktionen müssten zielgerichteter gegen Saddam Husseins Rüstungsproduktion gerichtet werden, um so die Bevölkerung zu schonen.

Auch trat der frühere Generalstabschef in dem vertraulichen Gespräch mit den Deutschen ganz anders auf, als es das Klischee will. Ob es um den Irak ging oder um die Nato-Osterweiterung – statt von einer eigenen Ideologie auf die Wirklichkeit zu schließen, spielte er Streitfragen gedanklich aus unterschiedlichen Perspektiven durch. Jeglicher Verzicht auf die Dämonisierung von politischen Gegnern sowie die Bereitschaft, die Welt nicht nur aus dem Blickwinkel der USA zu betrachten, überaschte die deutsche Seite – und nahm Fischer für Powell ein.

Beim gemeinsamen Mittagessen hatte der Amerikaner seinem Gast die deutsche Ausgabe seiner Autobiografie überreicht. Mit Interesse wird Fischer wahrscheinlich die Passagen über Vizepräsident Cheney lesen, der einst ein Vorgesetzter Powells war. Cheney hatte gestern mit dem Deutschen zwar 45 statt 15 Minuten wie vorgesehen konferiert, doch glich das Treffen mehr einem Informationsaustausch als einer Ideenwerkstatt. Auf Seite 454 kann Fischer nachlesen, warum er mit dem Vizepräsidenten nicht warm wurde: „Dick Cheney war kein Boss, der es mochte, wenn man ihm widersprach.“