Pop ist ein Biss ins Knäckebrot

Cluborientierte, flächige und mitunter auch brachiale Minimalfunkskulpturen mit gerader Bassdrum: Das ehemalige Kölner und jetzt in Berlin ansässige Technolabel „Sender“ stellt sich heute Nacht in der Panorama-Bar des Ostguts vor

Was macht eigentlich ein Sender? Blöde Frage – senden natürlich! Der Gehalt einer Antwort bemisst sich an der Intelligenz und Genauigkeit der Fragestellung. Auf die Frage, was oder wie ein Sender sendet, hätte der fiktive Fragende wahrscheinlich eine wesentlich differenziertere Antwort erhalten. Andererseits hätte ihm sein Gesprächspartner vor ihrer Beantwortung wohl selbst noch eine weitere Frage gestellt: Was für einen Sender meinst du?

Am Beispiel Benno Blomes kann man die Vielzahl möglicher Fragen und Antworten auf ein geringes Maß an Komplexität reduzieren. Denn der 28-Jährige betreibt seit 1999 ein Technolabel namens „Sender“. Eigentlich hätte das Label „Senderkommunikation“ heißen sollen. Da dieses Wort aber viel zu ungelenk klingt, entschied Blome sich für die Kurzversion.

Seinen Namen verdankt das Label indes einer einfachen Idee Blomes: „Jede Platte ist letztlich eine Sendung vom Künstler oder Label zu den Hörern.“ Aha. Label und Künstler senden fleißig, die Käufer umfangen stumm die ins Vinyl gekratzten Botschaften. Erinnert irgendwie an gute alte kommunikationstheoretische Modellvorstellungen oder an den nicht mehr ganz taufrischen Leitspruch, den Techno-Interessierte in den 90-ern stets auf Plus-8-Plattencovern bewundern durften: „From our minds to yours.“ Bei so viel Sendungsbewusstsein – was lag da näher als die Wahl eines Sendeturms als Labellogo?

Mit seiner Lebenspartnerin, die unter dem Pseudonym K. Lakizz genau wie Blome auf dem Label veröffentlicht, zog der Kölner im Januar diesen Jahres fort aus seiner Heimatstadt. Köln bot für den mit Detroit- und Chicagosounds sozialisierten Blome insgesamt zu wenig musikalische Abwechslung und Härte.

Was er einerseits an der Kölner Techno-House-Szene rund um das Label- und Vertriebsuniversum Kompakt schätzte, „die warmen und weichen Sounds und den Popappeal vieler Stücke“, empfand er auf der anderen Seite in ihrer Vormachtstellung im Kölner Nachtleben als Beschränkung musikalischer Möglichkeiten. Wohin also? In die aufgrund ihrer stärkeren Ausdifferenzierung von Szenegefügen und ihrer musikalischen Vielfalt von Musikern und Produzenten allseits geschätzte Hauptstadt natürlich. Als weiteres Kriterium für seine Wahl nennt Blome die insgesamt technoidere Soundausrichtung Berlins.

Bei allen Differenzen im Sound der verschiedenen Sender-Künstler wird von Veröffentlichung zu Veröffentlichung eines immer deutlicher: Das Label macht Ernst mit der Idee eines anderen Techno-Sounds. Bei den meisten Tracks handelt es sich um cluborientierte, flächige, mitunter brachiale Minimalfunkskulpturen mit gerader Bassdrum.

Die Tracks von Welt Zwei oder T. Raumschmiere, von K. Lakizz, Konkord und Intercity sind recht trocken, bisweilen knarzig, laufen aber dennoch runder als viele wahlverwandte Kölner Produktionen. Darüber kennzeichnet nahezu alle Platten eine in ihrer Überproduziertheit beinahe erhabene Darkness und ein signifikant anderer und frischer Klang etlicher Sounddetails. Das stetige Zusammenführen der genannten Merkmale aber hat dazu geführt, dass man nach nur sechs Veröffentlichungen bereits sinnvoll von einem sendertypischen Labelsound sprechen kann.

Den Wunsch nach Neuem indes beschreibt Blome als Resultat eines Überdrusses an der Wiederholung immergleicher Sounds: Standard-Hi-Hats, Claps und andere geläufige Geräusche und Töne aus Traditionsgeräten wie der 808 oder 909 sind seine Sache und die seiner Labelmates nicht.

Da sampelt man dann doch lieber, ähnlich wie der englische Houseproduzent Herbert Matthews, Alltagsgeräusche. Etwa solche, die entstehen, wenn man in ein Knäckebrot beißt oder Eiswürfel im Glas zum Klappern bringt.

MICHAEL SAAGER

Electric Force/Sender-Nacht, mit Benno Blome, Konkord live, Frank Horn. Heute nacht, ab 24 Uhr, in der Panoramabar des Ostguts, Mühlenstraße 26–30, Friedrichshain