The King of Cool

Arsenals Stürmer Thierry Henry ist nach dem 1:1 gegen Lyon nicht enttäuscht, hat aber Respekt vor den Bayern

LONDON taz ■ Thierry Henry war schon wieder cool. Er zog seine blaue Wollmütze zurecht, hinunter bis zu den Augenbrauen und sah somit aus wie ein HipHop-Star, der von den Aufnahmen seines neuesten Musikvideos kommt. Und eben nicht wie ein Fußballprofi, der sich nach einem wichtigen Spiel mit frustrierendem Ausgang auf den Weg nach Hause macht. In der letzten Spielminute hatte sich Arsenal in der Champions-League-Zwischenrunde gegen Olympique Lyon den 1:1-Ausgleich eingefangen – wie enttäuschend.

„Ich habe keine Zeit, enttäuscht zu sein“, sagte Arsenals Stürmer Henry und empfahl den Blick auf die Tabelle. Da steht sein Team in der Gruppe C noch immer hinter Bayern München auf dem das Viertelfinale garantierenden Platz zwei, wenngleich mit nur fünf Punkten aus vier Spielen. „Die Karten sind immer noch in unserer Hand“, sagte Henry. Aber wie viele Trümpfe sind darunter?

Es ist noch alles zu gewinnen für Arsenal in dieser Saison, in der englischen Meisterschaft sind sie Zweiter, im nationalen Pokal im Viertelfinale und in der Champions League im Rennen. Doch der Vergleich mit Lyon bestärkte das Gefühl, dass dies nicht ihr Jahr ist. So überraschend und spät wie das 1:1 durch einen heftigen Kopfball von Edmilson fiel – Sieger sehen anders aus als Arsenal in den 89 Minuten zuvor. Schon seit November sind sie auf der Suche nach der verlorenen Eleganz, die sie im Herbst noch zu Champions-League-Favoriten machte.

In einer ganz und gar mäßigen Partie ächzte und stöhnte Arsenal zumindest anfänglich noch nach vorne. Sporadisch ließ der Franzose Robert Pires auf dem linken Flügel so etwas wie Leichtigkeit aufblitzen. Einer seiner Sprints mit Pass in den Rücken von Lyons Abwehr schickte in der 33. Minute Stürmer Dennis Bergkamp auf den Weg zum 1:0. In der zweiten Halbzeit „trauten wir uns nicht mehr raus“, sagte Trainer Arsène Wenger, aus der Umkleidekabine schon noch, aber nicht mehr aus der eigenen Spielhälfte. Die Mittelfeldspieler, vor allem Ray Parlour und Freddy Ljungberg, waren Denkmäler der Müdigkeit, ihr Konterspiel katastrophal.

Aufregung gibt es bei Arsenal derzeit vor allem außerhalb des Spielfeldes. Vier Weltklasseangreifer hat Trainer Wenger im Kader, spielen dürfen immer nur zwei, das ist zwar kein neues logistisches Problem, aber als solches haben es Sylvain Wiltord, Dennis Bergkamp und Nwankwo Kanu jetzt entdeckt. Alle jammern durcheinander dieser Tage. „Ich verstehe Arsènes Entscheidungen nicht“, sagt der Franzose Wiltord über seinen Nichteinsatz beim Hinspiel in Lyon, „viele meiner Verwandten waren extra wegen mir ins Stadion gekommen.“ Der Nigerianer Kanu sagt: „Es heißt, ich sei nicht in Form. Aber wie kann ich nicht in Form sein, wenn ich gar nicht spiele?“ Der Holländer Bergkamp sagt: „Ich weiß nicht, ob es ideal ist, ständig die Stürmer zu wechseln. Gibt es das Wort Über-Rotieren? Das ist gefährlich.“

Das Überraschendste an der Diskussion ist, dass es so lange gedauert hat, bis sie ausbrach. Stürmer sind von Berufs wegen Egoisten, sie werden an den geschossenen Toren gemessen. Tatsächlich hat kein Stürmer wirklich Grund zur Beschwerde, sie haben alle nahezu gleich viele Spiele absolviert – und genug, zwischen 28 und 35. Aber sie sehen immer nur die Partien, die sie nicht spielen. „So lange die Frustration motivierend wirkt und positive Konsequenzen für das Team hat, ist sie in Ordnung“, sagt Wenger gelassen. „Wir leben nicht in einer Welt, wo alle nett zueinander sein müssen. Wir leben in einer Welt, wo alle Leistung bringen müssen.“

Nur der King of Cool hat mit dem ganzen Palaver nichts zu tun. Weltmeister Thierry Henry ist fein raus aus dem Stürmerstreit, mit 17 Toren in 35 Spielen, auch wenn das gegen Lyon zu seinen schwächeren gehörte. Die anderen drei kämpfen um den Platz neben ihm. So wie die anderen drei in der Gruppe C, Spartak Moskau, Lyon und Arsenal, nun um den Platz neben dem FC Bayern kämpfen. Das Thema brachte dann selbst Henry kurzzeitig in Schwung. „Ich habe das gerade schon Sonny gesagt“, Sonny Anderson, Lyons Kapitän: „Probiert ihr erst einmal, in zwei Wochen gegen Bayern zu gewinnen.“ Redete er jetzt noch oder rappte er schon? „Bayern ist stark. Bayern ist hart. Bayern ist schwierig.“ Dann war er wieder cool. Schlurfte in die Nacht nach Hause. Oder doch ins Musikstudio?

RONALD RENG