Freudsche Versprecher im großen Stil

Verschiebung und zwanghafte Wiederholung: Rodney Graham stört den medialen Fluss. Ohne ein bisschen bildungsbürgerlichen Ballast ist sein Witz allerdings kaum zu verstehen. Jetzt zeigt der kanadische Künstler seine Videoarbeiten in Berlin im Hamburger Bahnhof

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Hubschrauberlärm erfüllt die Dunkelheit. Suchscheinwerfer tasten den Waldrand ab. Kommt jetzt eine Szene aus „Apocalypse now“, bereiten Gangster ihre Flucht vor? Wird jemand gejagt? Je länger der Lärm in den Ohren brüllt, desto mehr wächst der Hunger nach Action. Aber dazu kommt es nicht in Rodney Grahams Video „Edge of a Wood“. Mehr als ein unvollständiges Bild von Büschen und Baumkronen im flackernden Licht gibt es nicht. Irgendwann dreht der Hubschrauber ab, irgendwann wird er wiederkommen.

So erzeugt Graham mit wenigen Kunstgriffen Erwartungen, die dann unterlaufen werden. Langsam wird der Aufwand sichtbar, mit dem der filmische Apparat Bilder erzeugt. Denn allein der Lärm der Maschine, die das Licht heranfliegt, damit der Wald in der Nacht überhaupt zum Bild werden kann, reicht aus, dessen Atmosphäre zu verändern. Aus dem romantischen Topos von der Waldeinsamkeit wird ein Kriegsschauplatz: An seinen Rändern findet der Prozess der Zivilisierung statt, den als Verlust und Vernichtung zu begreifen wir seit der Romantik gelernt haben. Diese Grenze markiert der kanadische Künstler noch einmal.

Zurzeit ist Rodney Graham Gast des daad in Berlin. Für eine Ausstellungstournee, die in den Kunstvereinen von München und Münster begann, hat er einen Katalog mit Schallplatte herausgebracht, deren Cover im Layout der Deutschen Grammophon gestaltet ist. Graham sitzt wie ein Countrysänger am Fuße eines Baumes. Auf der Platte hört man seine Gitarrenimprovisationen zu einer Filmsequenz aus „Zabriskie Point“, für deren Soundtrack der Regisseur Michelangelo Antonioni den mittlerweile verstorbenen Grateful-Dead-Gitarristen Jerry Garcia eingeladen hatte. Eine weitere Rolle nimmt Graham in der Fotografie „Fishing on a Jetty“ ein: Da sieht man ihn mit Hut, Angel und Sonnenbrille in einer jener Verkleidungen von Cary Grant, mit denen dieser im Hitchcock-Krimi „Über den Dächern von Nizza“ seine wahre Identität als Dieb zu verbergen sucht.

Graham durchwandert die Medien. Er hat Replikate von Büchern hergestellt, die Siegmund Freud an einem ganz bestimmten Tag in einer Buchauslage sah, und dazu eine Vorlesung gehalten. Er hat CDs und Videoclips produziert. Doch so sehr er dabei die Codeformen des Authentischen betont, so offensichtlich geht die Suche nach dem Kultstatus daneben. Die Prozesse der Verschiebung und der zwanghaften Wiederholung, die er bei Freud studiert hat, sind dabei zu seinem methodischen Rüstzeug geworden. Er produziert sozusagen Freudsche Versprecher im großen Stil. Irgendetwas stimmt nicht mit den Kontexten des Films oder der Independent-Musik überein, deren er sich bedient. In der Unzulänglichkeit der Nachahmung zeigt sich der Pferdefuß des Konzeptkünstlers.

Die zweite Videoarbeit, die Graham im Hamburger Bahnhof zeigt, kommt in der Maskerade eines Kostümfilms daher: „City Self/Country Self“ spielt in der Zeit der Kutschen. Graham verdoppelt sich als Stutzer und Besucher vom Land: Der erste tritt mit einem extra angespitzten Schuh den zweiten in seinen extra dick genähten Hosenboden. Das gleicht einer self-fulfilling prophecy. Zwei Künstlerinnen waren überzeugt, dass Graham so den Zwiespalt des Künstlers thematisiert, sich einerseits privilegiert und andererseits als armer Hund zu fühlen.

Durch die ständige Wiederholung des Loops wird das zeitliche Konzept des Nacheinanders zerstört. Sie lässt keinen Ausstieg aus der Geschichte zu, in der beide Protagonisten immer wieder die gleiche Runde durch die Stadt drehen. Die Wiederholung ist aber nicht nur ein stilistisches Mittel innerhalb einzelner Arbeiten Grahams; sondern sie bildet, indem er eigene Motive wieder aufgreift oder den Werkgestus anderer nachahmt, auch eine übergreifende Struktur: Einmal hat er Büchners „Lenz“ noch einmal geschrieben, aber nur die ersten 1.434 Worte und die dafür 83-mal. Dabei versucht Rodney Graham nie, irgendwie hype zu sein. Sein Witz ist einer mit grauen Schläfen und ohne bildungsbürgerlichen Ballast kaum zu verstehen.

Bis 4. 3., Hamburger Bahnhof, Berlin.