Diskreter Mafioso mit Halbglatze

Vincenzo Virga, einer der Bosse der sizilianischen Mafia, wurde am Mittwoch verhaftet. Von Bluttaten hielt er nichts

ROM taz ■ Sehr unscheinbar wirkte der behäbige ältere Herr mit Halbglatze und Doppelkinn, der am Mittwoch in Handschellen den Eingang des Polizeipräsidiums von Trapani durchschritt. Doch dass die zahlreichen ihn eskortierenden Polizisten martialisch mit Skimützen vermummt waren, zeigte sofort, dass Italiens Behörden ein spektakulärer Fang gelungen war: Der 59-jährige Vincenzo Virga gehört zum engsten Führungszirkel der sizilianischen Mafia.

Pikanterweise sah sich Virga im Moment seiner Verhaftung gerade eine Videokassette mit den Aufnahmen der spektakulären Attentate an, die die Mafia 1992 gegen die beiden Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino verübt hatte. Aber der Boss aus Westsizilien hatte sich seinerzeit von den „militaristischen“ Verirrungen der Ehrenwerten Gesellschaft ferngehalten, als sie unter Führung Totò Riinas die Konfrontation mit der Staatsmacht gesucht hatte.

Der bei der Festnahme unbewaffnete Virga verkörpert eine andere Mafia: eine, die im Stillen ihre Geschäfte abwickelt, den Dialog mit der Politik sucht und zu Mord nur als Ultima Ratio greift. Auf diesem Wege war der ehemals mittellose Tagelöhner – der unter anderem eine bescheidene Landarbeiterrente bezieht – zum Multimillionär aufgestiegen; in der westsizilianischen Provinz Trapani wurde kein öffentlicher Auftrag vergeben, an dem Virga nicht wenigstens 3 Prozent Schmiergeld verdiente.

Oft genug aber wickelte er die öffentlichen Aufträge gleich selbst über Mafiafirmen ab: Ob Müllabfuhr, Straßenbau oder Instandhaltung des Abwassernetzes – Virga war immer dabei. Selbstverständlich trieb sein Clan flächendeckend Schutzgelder von den gewerbetreibenden in Trapani ein.

Zur Schlüsselfigur der Cosa Nostra wurde der seit 1994 Untergetauchte und wegen des Mordes an einem Polizisten schon zu „lebenslänglich“ Verurteilte allerdings, weil er zugleich als „ökonomisches Hirn“ (so die Staatsanwaltschaft) für den Boss der Bosse, Bernardo Provenzano, agierte und ihm Verstecke zur Verfügung stellte. Für Provenzano wird die Luft dünn; Italiens Fahnder zeigen sich optimistisch, ihn selbst bald fassen zu können.

Nützlich war Virga bei seinem Wirken das bis heute funktionierende Beziehungsgeflecht zwischen den legalen und den illegalen Eliten Trapanis. Giuseppe Linares – der Kommissar, der die Ermittlungen leitet – kommentierte, Virga habe „die Unterstützung einflussreicher Mächte in der Wirtschaft wie in der Politik genossen“. In seiner Freimaurerloge traf Virga auf Unternehmer, Kommunalbeamte, Richter und Polizisten. In Mailand ermittelt derweil die Staatsanwaltschaft gegen Virga und gegen den Berlusconi-Intimus Marcello Dell’Utri, der heute für Forza Italia im Parlament sitzt. Dell’Utri soll Virga engagiert haben, um beim Präsidenten des Basketballclubs von Trapani Außenstände aus einem Sponsorenvertrag mit der Berlusconi-Firma Publitalia einzutreiben. Politischen Schaden muss Berlusconi dennoch nicht befürchten: Italien hat die Sympathie vieler Bosse für Forza Italia weitgehend verdrängt.

MICHAEL BRAUN