Versichert und vorbei

„Hausfrau“ ist in Italien mittlerweile ein anerkannter Beruf – ab März sogar mit eigener Versicherung. Doch auch im traditionellen Mamaland ist die casalinga ein aussterbendes Lebensmodell

von FRANK HELBERT

Das vergangene Jahr war erfolgreich für Italiens Hausfrauen. Gleich zwei Vorsorgegesetze wurden verabschiedet, die ihr Selbstbewusstsein und ihre Position in der Gesellschaft stärken. Das erste Gesetz liefert die juristische Basis für eine lange geforderte Pension für die casalinga, die Hausfrau; das zweite für eine Versicherung derjenigen Frauen und Männer, die sich hauptberuflich um den Haushalt kümmern.

An der Anpassung der Wirklichkeit an die Gesetze wird noch gearbeitet, in einem hauptsächlich vom Verband der Federcasalinghe vorangetriebenen, europaweiten Pionierprojekt. Ende März soll dieses Projekt beim zehnten nationalen Kongress des größten Hausfrauenverbandes Italiens abgeschlossen sein und Bilanz gezogen werden unter dem voraussichtlichen Motto „Frauen heute – gewonnene Schlachten und neue Ziele“. Über die neuen Ziele ist noch nicht viel zu erfahren; eines der Hauptthemen wird die Harmonisierung von Arbeitszeiten außerhalb und innerhalb des Haushalts sein. Als Siegerinnen aber sehen sich die Hausfrauen bereits.

Das Prinzip der Hausfrauenpension erinnert an die deutschen Rabattmarken aus der Nachkriegszeit. Bei jedem Einkauf bestimmter Produkte oder in bestimmten Supermärkten bezeugt die Hausfrau ihr finanzielles Verantwortungsbewusstsein mit einem besonderen Ausweis. Der macht sie, zumindest für den Kaufmoment, zur responsabile degli acquisti, zur „Einkaufsleiterin“ im Kleinunternehmen Familie, und gewährt ihr eine Verbilligung. Diesen sconto soll sie selbst in einen „ergänzenden Familienfonds“ überweisen, aus dem sie später ihre Pension beziehen wird. Große Unternehmen aus der Lebensmittel-, Bekleidungs- und Freizeitindustrie, etwa die Gruppe Agnelli oder die Parmalat, haben dieses Prinzip schon abgesegnet, so die Sprecherin der Federcasalinghe, Hochrechnungen über Einzahlungen oder Auszahlungen allerdings seien noch nicht möglich und die Einschreibungen längst nicht abgeschlossen.

Mit der Hausfrauenversicherung aber lässt sich schon rechnen. Sie kostet etwa 25 Mark jährlich. Für Haushalte mit einem Einkommen von weniger als 18.000 Mark und Einpersonenhaushalte mit weniger als 9.000 Mark im Jahr übernimmt der Staat die Versicherungskosten. Fällig wird die assicurazione casalinga allerdings nur in schlimmen Fällen und nicht im schlimmsten. Stürzt die Hausfrau etwa beim Fensterputzen von der Leiter und stirbt, so gehen die Hinterbliebenen leer aus. Bricht sie sich bei dem Sturz ein Bein, so wird sie das auch weiterhin ohne Leistung der Versicherung behandeln lassen müssen. Fällt sie aber von der Leiter und verliert dabei ein Auge oder wird anderweitig invalide, so greift die Hausfrauenversicherung. Der Invaliditätsgrad des Opfers muss nur höher sein als 33 Prozent – ein verlorenes Auge zählt 35 Prozent und würde zu einer monatlichen Rente von 325 Mark führen, bei einem doppelt so hohen Invaliditätsgrad wären es 1.250 Mark.

In Italien für den eigenen Haushalt zu arbeiten ist gefährlicher, als dort Auto zu fahren. Jährlich verletzen sich dreihunderttausend Menschen während ihrer Beschäftigung für die Familie, und 8.400 sterben dabei, das sind mehr als im Straßenverkehr. Als Hauptursachen gelten Gasflaschenexplosionen, der elektrische Schlag und der Treppen- oder Leitersturz. Zwar ist die Hausfrauenversicherung de facto eine Vorsorgemaßnahme für den Fall der Invalidität, doch sie erspart dem Sozialministerium Kosten und gehört als weitere kleine Gabe in den Präsentkorb der offiziellen Anerkennung des Hausfrau-und--Mutter-Berufs.

Seit 1999 gibt’s für gewordene Mütter einen Scheck vom Staat mit einer jährlich steigenden Summe – in diesem Jahr werden es etwa 2.500 Mark sein –: eine der endlich erfüllten Forderungen des italienischen Hausfrauenverbandes und seiner Präsidentin Federica Rossi Gasparrini: „Wir kämpfen weiter dafür, dass Hausfrauen die gleichen Rechte bekommen wie die Frauen, die außerhalb des Haushalts arbeiten. Das Verfassungsgericht hat sich ja schon auf unsere Seite gestellt. Nun zeigt die Zusammenarbeit mit der Nationalen Arbeitsversicherungsanstalt, dass der Hausfrauenberuf ein Beruf wie jeder andere ist.“

Ähnlich charmant und kämpferisch definieren die vereinigten Hausfrauen ihr Bild der casalinga: „Sie muss mit dem Geld ihres Mannes umgehen können und sich als Verwalterin dieses Einkommens sehen. Eine schlechte Hausfrau kann zur finanziellen Katastrophe für die Familie werden.“ Aus den neuen Statistiken könnten Zyniker allerdings folgern, dass mit den Errungenschaften Versicherung und Pension nun der Grabgang eines überhaupt nicht mehr angesagten Lebensmodells garniert werde. Dass es sich bei der assicurazione casalinga um Blümchen handele, die das italienische Arbeitsministerium auf den Sarg einer aussterbenden Berufsauffassung legt.

Denn die heutigen Vorstellungen italienischer Frauen vom Sinn ihres Lebens passen nicht mehr in das traditionelle Modell Hausfrau/Ehefrau/Mutter. Akzeptierten 1997 noch rund 43 Prozent der Frauen im Alter zwischen 25 und 34 Jahren dieses Schema auch für sich, so waren es drei Jahre später nur noch 35 Prozent. Die meisten Frauen in diesem Alter wollen nicht mehr im Dreieck von Beschäftigung zu Beschäftigung hüpfen und dabei von einer in die andere Hausfrauenidentität schlüpfen, sondern mindestens im Viereck. Die neue Komponente: der eigene Beruf. Bekannterweise ist der für Frauen, mit oder ohne Kind, schwerer zu finden, und so gibt sich der Großteil der Frauen einem Multitasking zwischen Mann, Haushalt, Kind und Beruf hin.

Besonders für die Frauen aus dem Süden bedeutet das ein existienzielles Dauerjonglieren mit so plötzlich erscheinenden wie verschwindenden beruflichen Aussichten, mit dem Wunsch nach maximal zwei Kindern und mit der stummen Toleranz des Partners, der sich nur selten zur Förderung der diversifizierten Wünsche seiner Frau aufschwingen kann.

Dabei verschiebt sich auch im Mamaland Italien das Prinzip Hausfrau hin zum Teilzeitprojekt. Die Ganztagshausfrau ist mit ihrem Leben unzufriedener als die berufstätige Hausfrau, obwohl diese mehrheitlich mit einer über sechzigstündigen Wochenarbeitszeit besonders ausgelastet ist. So viel arbeiten nur fünfzehn Prozent der Männer – die ihren Frauen übrigens trotz ihrer Mithilfe beim Einkaufen zwei Stunden zusätzliche Arbeit täglich bescheren.

Das gestiegene Interesse an zeitlich flexiblen Teilzeitkräften auf dem italienischen Arbeitsmarkt hat den Frauen in der jüngeren Vergangenheit den Einstieg ins Arbeitsleben etwas erleichtert. Besorgnis erregend für die Hausfrauenverbände müssten aber ganz andere Entwicklungen sein. Immer mehr Frauen studieren oder arbeiten in „männlichen“ Berufen, und während im Süden einerseits die traditionellen Frauenrollen noch schneller erfüllt werden, ist hier andererseits die Abkehr von diesen Rollen doch umso signifikanter. Der Süden kann auch nicht mehr als statistisches Polster dienen wie in den Sechzigerjahren, als die durchschnittliche Geburtenrate von 3,1 Kindern pro Frau eine gar nicht so hohe Zahl von 1,8 Kindern je Frau aus dem Norden abfedern konnte. Von den Töchtern dieser Generation haben heute vierzig Prozent Zugang zur akademischen Ausbildung, was wiederum nur für zehn Prozent ihrer Mütter möglich war – Entwicklungen, die keine Renaissance des Hausfrauendaseins als erstrebenswertes Lebensziel junger Italienerinnen erwarten lassen.

Umso glücklicher sind die Hausfrauenverbände über die erreichten Ziele, mit denen der tragenden Figur des bürgerlichen Familienbegriffs des 19. Jahrhunderts zumindest ein paar Rechte zugestanden werden. Während im wirklichen Leben die Familienkonzepte weitermutiert sind zu ungewohnten Multistrukturen, in denen die klassische Hausfrau schon längst verrückt geworden wäre.

Doch Tina di Gennaro Brunelli vom Hausfrauenverband Neapels ist nicht einverstanden mit den Statistiken über junge Italienierinnen. „Meine Erfahrungen sagen mir: Wenn die Frauen nicht arbeiten müssten, dann wären sie lieber nur für ihre Familie da. Das gilt gerade heute, in einer schwierigen Zeit für junge Menschen, und gerade im Süden, wo die Familie so viele Schwächen der Gesellschaft ausgleichen muss.“ Die Hausfrau, immer in Verbindung mit Muttersorge definiert, wird zur einer Person ohne Alternative und zum systemerhaltenden Objekt in einer Welt, die scharfe Trennungen braucht.

In dieser Welt gehört sogar der Hausmann zum System. Doch oft steckt hinter dieser besonders in Italien recht außergewöhnlich wirkenden Lebensform nur eine Selbstdefiniton ex negativo – wie im wohlmeinenden Ratschlag eines seit seiner Heirat überzeugten Hausmanns an Männer, die Probleme mit den emanzipatorischen Bestrebungen ihrer Gattinnen haben: „Lasst eure Frauen arbeiten gehen! Und ihr bleibt daheim und führt dort das Unternehmen Haushalt. Ihr seid die Manager zu Hause.“

Hausfrau bleibt Hausfrau, und Hausmann wird Manager. Wenn der Staat nun noch eine Art Gehalt an die im Haushalt arbeitende Person zahlen würde – laut Federcasalinghe leider eine undenkbare Vorstellung –, dann könnte der Beruf ja richtig Spaß machen. Muss nur mal einer drauf kommen – vielleicht einer wie Silvio Berlusconi. Dem ist im Wahlkampf doch noch jedes nicht besetzte Plätzchen recht.

FRANK HELBERT, 37, lebt als freier Journalist in Wiesbaden und Neapel