Opern-joint-venture

■ Die Europapremiere der Peking-Oper „Die Nachtigall“ wurde in der Glocke umjubelt

Was veranlasst einen jungen sächsischen Komponisten, eine „Peking-Oper“ zu schreiben? Der 1966 geborene Karsten Gundermann hat im Alter von sechzehn Jahren eine Peking-Oper gehört, die ihn so faszinierte, dass er sich fortan damit beschäftigte, chinesisch lernte. Nach seinem Kompositionsstudium in Dresden wurde er als erster Ausländer Schüler an der „Chinese Academy of Traditional Drama“ in Peking. In dieser Zeit ist „Die Nachtigall“ entstanden, die erste Peking-Oper eines westlichen Komponisten. In Peking läuft sie seit 1993 erfolgreich. Sein Anliegen sei gewesen, die Peking-Oper auch für das westliche Ausland verständlich zu machen, und das traf sich gut mit den Planungen von Glocke-Geschäftsführerin Ilona Schmiel, die Spannung in den Kulturaustausch bringen möchte.

Kann ein Deutscher eine chinesische Pekingoper schreiben? Eigentlich nicht, im konkreten Fall aber doch: In ihrer heutigen komplexen Form ist sie erst gut hundert Jahre alt, setzt sich aber aus tausend Jahre alter chinesischer Theaterkunst zusammen.

Das wichtigste ist dabei die Stilisierung: „Naturalismus ist zu vermeiden. Alles wird mit den Mitteln der Kunst umgewandelt in Bühnenausdruck“, schrieb der Theaterforscher Qui Ru-Shan. Dieses ästhetische Raster ließ Gundermann unangetastet und schrieb eine Musik, von der die Chinesen ihm bestätigt haben, sie sei zu 85 Prozent chinesisch und zu 15 Prozent deutsch.

Geht denn das? Eigentlich nicht, im konkreten Fall aber doch: Die Musik der Peking-Oper ist rein funktional.Sie gehorcht Regeln, die natürlich erlernbar sind, wenn auch unter Mühen. Elf Jahre hat die Fertigstellung des Werkes gedauert. Gundermann erzählt, dass er manche Arien über zehnmal umgeschrieben habe, weil sie nicht den Regeln entsprachen.

Die elf Musiker unter der Leitung von Geng Lian-Jun sitzen neben der Bühne in einem Holzkasten, beobachten das Bühnengeschehen und bilden mit den Bewegungen der Darsteller zusammen eine sensibel-rhythmische Einheit.

Ob der heftig bejubelte Abend in der Glocke nun gut war im Sinne den Anforderungen der Peking-Oper, kann ich selbstverständlich nicht beurteilen. Wir können aber zur Kenntnis nehmen, dass Karsten Gundermanns Arbeit, erst- und bisher einmalig in Bremen gezeigt, in China begeistert angenommen wurde und die Chinesen, die ich im Publikum ansprach, hellauf begeistert waren. Und ein ganz klein wenig wiegt vielleicht auch unsere eigene Wahrnehmung: Und die war beste Unterhaltung und Kurzweil.

Hans Christian Andersens Märchen von der Nachtigall, das in China spielt, bot Raum für Ernst und Witz – das Schicksal der Nachtigall und die Beflissenheit der beiden Hofbeamten – , für atemberaubende Akrobatik – die Geister – , für Farben, Masken, Stoffe, Pantomimen, für die geheimnisvollen Bewegungen der Hände, aber auch die nur über Bewegung hergestellte Suggestion eines Bergerklimmens oder einer Flussdurchwatung.

Peking-Oper ist Startheater, und was das Ensemble der Chinese Academy of Traditional Drama in der Regie von Kui Sheng hier an Singen, rezitativischem Sprechen, kunstvollem Singen und Körperhaltungen gezeigt hat, war eine einzige Freude: die zarte Nachtigall mit ihren Flatterbewegungen, die Kunstnachtigall mit ihren maschinellen Gesten, der Tod mit seinem Feuerblasen, der Kaiser mit seinem Autoritätsgetöse, die übereifrigen Hofbamten, der Frosch und die Kuh. An der Authentizität dieser stets auch musikalisierenden Bewegungen ist nicht zu zweifeln. Die Begeisterung in der hoffnungslos ausverkauften Glocke wollte kaum ein Ende nehmen.

Ute Schalz-Laurenze