grüner parteitag
: Landesverband ohne Perspektive

Von einem FDP-Verschnitt, freut sich der neue grüne Landessprecher, sind die Berliner Grünen noch weit entfernt. Da hat er allerdings Recht: Während um den Posten des Parteivorsitzenden bei den Liberalen harte Kämpfe ausgefochten werden, will den Job bei den Berliner Grünen niemand haben. Diesem Umstand wird Till Heyer-Stuffer seine Wahl verdanken. Ein Kandidat, den in der Partei niemand kennt und dessen programmatische Äußerungen nur eines erkennen lassen: Anders als sein Vorgänger will er im Landesverband nichts verändern.

Kommentar von RALPH BOLLMANN

Das beruhigt die Delegierten, die sich zum Parteitag wie eh und je in einem Kreuzberger Oberstufenzentrum treffen, weil sie mehrheitlich aus den Westberliner Szenebezirken stammen und nur ungern über den Tellerrand schauen. Auch das hehre Prinzip der Trennung von Amt und Mandat, das fast alle maßgeblichen Grünen-Politiker hinter vorgehaltener Hand missbilligen, darf vor lauter Traditionspflege öffentlich nicht in Frage gestellt werden. Auch wenn es dazu führt, dass sich für den Posten niemand interessiert, der ein Gespür für Machtverhältnisse besitzt.

Für besondere Probleme sorgt das bei einem Landesverband, dessen Personaldecke so dünn ist wie ein durchgescheuertes Bettlaken. In der Landowsky-Affäre wurde das wieder einmal augenfällig, nachdem Parteistratege Wolfgang Wieland in die Winterferien entschwunden war. Mit einer Strafanzeige wegen eines längst verjährten Delikts lieferten die Grünen dem CDU-Fraktionschef eine Steilvorlage, um seine Weste weiß zu waschen: Ermittlungen eingestellt.

Statt das CDU-Desaster genüsslich auszukosten, brachte die Partei auf dilettantische Weise Koalitionsgespräche mit SPD und PDS ins Gespräch – und rückte damit die Frage ins Scheinwerferlicht, ob die Berliner Grünen in ihrem jetzigen Zustand überhaupt regierungsfähig sind. Alles deutet darauf hin, dass die Antwort nach dem heutigen Parteitag nicht positiv ausfallen wird.

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