Obsessionen der zweiten Realität

Museum als transzendierte Ordnungsmaschine: Die Ausstellung „Hypermental“ in der Kunsthalle  ■ Von Hajo Schiff

Künstliches Leben in der Tiefkühltruhe und Ölbilder treffen sich in der Galerie der Gegenwart: Der junge deutsche Künstler Max Mohr und Salvador Dalí sind nur zwei der Künstler bei der erlesenen Auswahl, die unter dem ebenso vagen wie interesseheischendenTitel Hypermental zusammengefasst ist. Die Kuratorin Bice Curiger hat die Kunst der letzten 50 Jahre subjektiv neu geordnet. Und das ist reichlich feuilletonistisch geraten – vielleicht kein Wunder, denn die Schweizerin ist auch Herausgeberin des Kunstmagazins Parkett.

Bis Ende Januar im Kunsthaus Zürich gezeigt, hat der Hamburger Kurator Christoph Heinrich die Ausstellung für die Hamburger Kunsthalle verändert und vor allem wesentlich großzügiger präsentiert. Bilder, Objekte und Videos von über fünfzig Künstlerinnen und Künstlern aus vier Generationen werden dabei miteinander konfrontiert, ohne die geringste Rücksicht auf die üblichen Zuordnungen nach den etablierten Kunstbegrifflichkeiten.

Das Museum sei eine große „Ordnungsmaschine“, meint Bice Curiger, und nur wenn man sich darüber hinwegsetzt, könne man längst wegsortierte Arbeiten wieder „wachküssen“. Und so treffen sich klassischer Surrealismus und Pop, Hyperrealismus und Op-art und sogar die politische Kunst der späten Sechziger zu einem Kaleidoskop jenseitiger und diesseitiger Träume. Eigentlich müsste die Ausstellung „Probleme der Repräsenta-tion von Wirklichkeit von der Nachkriegszeit bis heute“ heißen, meint Bice Curiger, aber das wäre ja kein besonders griffiger Titel. Und publikumsnah muss eine solche Ausstellung heutzutage schon sein: für alle etwas.

Mit Einführungstexten zu den sechs Kapiteln, in die die Ausstellung gegliedert ist, werden die BesucherInnen zusätzlich animiert, immer neue Zugangswege zu künstlerischen Problemstellungen zu finden. Doch das geschieht teils reichlich plakativ. Ob ein Satz wie „Das Haus des modernen Menschen ist immer größer geworden, doch seine Wände werden immer dünner...“ wirklich den Zugang zur Kunst fördert? Dass die wahren Abenteuer im Kopf stattfinden, ist ein zu dieser Ausstellung nachdrücklich betonter Satz. Und Kunst gibt diesen mentalen Abenteuerreisen Form und Gestalt.

Am Anfang des Rundgangs steht das immer noch irritierenden Foto von Yves Klein „Der Maler des Raumes stürzt sich ins Leere“, gefolgt von Pipilotti Rists Projektion eines im Kopf ablaufenden Films. Und so führt der Parcours mit Bildern der zweiten Realität vom individuellen Traum zum medial geprägten kollektiven Unterbewusstsein bis zu Olaf Breunings Geistervisionen. Sogar der überschätzte John Bock findet sich in der Auswahl, die gleichermaßen Visionen wie Obsessionen vorführt.

Dass ein Bild selbst wie eine Droge wirken kann, zeigen Bridget Rileys betrunken machende Op-Art-Lineaturen, Bilder aus Pillen und Hanfblätter baut Fred Tomaselli, und Gilbert und George sind bei ihrer Gin-Trinker-Performance zu beobachten. Großen Raum nehmen Erotik und sexualisierte Gewalt ein: von Vergewaltigungsszenen im Abstellraum (Ana Mendieta, 1973) über die provokativen Fetische von Hans Bellmer, Marcel Duchamp und Louise Bourgeois bis zur Kompensation in der durchsexualisierten Showwelt des Matthew Barney.

Hypermental ist in seiner subjektiv spielerischen Auswahl ein aktuelles Modell eines ganzen Museums, wobei sich allerdings die gezeigten Arbeiten durchgängig durch beliebige andere ersetzen ließen. „Es macht Spaß, zu erleben, wie die Arbeiten miteinander reden“ hebt Christoph Heinrich hervor. Ja, schon – aber auf so einer allgemeinen Kunstparty ist es dann doch meist nur small talk.

Hypermental – Wahnhafte Wirklichkeit 1950 - 2000“: bis 6.5., Galerie der Gegenwart, Hamburger Kunsthalle; Katalog: Großformat, 168 Seiten, 38 Mark; Partymental – Fusion aus Kunst und Musik: Fr, 2.3., ab 20 Uhr; begleitendes Filmprogramm ab 7.3., Metropolis