Die Ausgrabung der Kampfzone

■ Bremerhavens Theater bringt Irmgard Keuns hoch aktuellen 20er-Jahre-Roman „Das kunstseidene Mädchen“ auf die Bühne

Eine Frau steht allein auf der Bühne. „Ich werde ein Glanz“, sagt sie und träumt von einer Filmkarriere. Ihr Aufbruch aus dem Muff der engen Kleinstadt endet im quirligen Berlin, wo sie schließlich am Bahnhof steht und auf die Männer wartet. Nach dem Roman „Das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun hat Gottfried Greiffenhagen ein Bühnenstück für eine Person eingerichtet. Im Kleinen Haus des Bremerhavener Stadttheaters wird daraus jetzt eine One-Woman-Show für Stefanie Knauer.

Die Schauspielerin macht aus der Roman-Figur eine kesse Göre mit leicht berlinernder Schnodderschnauze, spielt sie als eine Frau mit Herz und kühlem Blick auf die Männerwelt, die Irmgard Keun mindestens so bösartig schildert wie 70 Jahre später Michel Houllebecq. Dessen „Ausweitung der Kampfzone“ ist keine neue Erfindung – die Liberalisierung der Kampfzone Sex blühte in den 20er Jahren und spülte junge Mädchen auf die Straßen von Berlin.

Doris heißt die 18-jährige Keun-Figur, die mit einem gestohlenen Pelzmantel im Koffer und einem Tagebuch auf die Bühne kommt, aus dem sie abschnittweise vorliest. Den offenen Bühnenraum gestaltet die junge Angelika Höckner, die zuletzt an Peter Steins Faust-Projekt mitgearbeitet hat, als kleinen Stadtplatz mit Parkbank und Häuserfassaden im sparsam angedeuteten 30er-Jahre-Design.

Gastregisseur Christian Concilio setzt auf die Ausdruckskraft seiner Darstellerin. Aber ganz scheint er ihr nicht zu trauen. Er entwickelt eine genau abgezirkelte Choreografie: Sie darf mal seitlich, mal auf der Bank, mal am Bühnenrand sitzen, ebenso muss sie den Raum in alle Richtungen begehen.

Doch Stefanie Knauer ist am besten, wenn sie irgendwo sitzt und im schnellen Plauderton nur erzählt: von dem kleinstädtischen Theaterdirektor, dem sie eine Affäre andichtet, von dem ersten Liebhaber, der sie für seine Karriere schnöde im Stich lässt, von dem Industriellen, der ihr seinen Reichtum zu Füßen legt, bis die Gattin aus dem Urlaub kommt. Diese Männer vernaschen, verraten und verachten das kunstseidene Mädchen nach Belieben. Aber Doris wehrt sich. Vor allem mit ihrem Tagebuch, in ihrer Sprache, die kein bisschen wehleidig ist, sondern rotzfrech und gewitzt diese Herren auslacht und ihnen eins über die deutschnationalen Schädel zieht.

Damit ist bei Irmgard Keun fast beiläufig auch die Politik im Spiel. Ihre Männerwelt zeichnet sie auf dem Hintergrund einer laut Roman-Text „versinkenden und zerrütteten Zeit“, in der die junge Doris ganz direkt erfährt, wie Antisemiten und Rassisten auf ihr möglicherweise jüdisches Aussehen reagieren. Es ist unverständlich, dass der Regisseur (oder der Bearbeiter) diesen politischen Horizont aus dem Stück weitgehend herausgestrichen hat. So wird die Autorin, die 1935 Deutschland verließ und erst vor 20 Jahren wiederentdeckt wurde, zu dem gemacht, was sie nicht sein wollte: eine unpolitische Schriftstellerin.

Die One-Woman-Show „Das kunstseidene Mädchen“ ist nicht zuletzt eine Empfehlung, diesen außerordentlich modernen Berlin-Roman, dessen Sprache kein bisschen Staub angesetzt hat, unbedingt zu lesen. Hans Happel

Weitere Vorstellungen am 28. Februar sowie am 3., 10. und 14. März. Kontakt 0471/490 01