Knallcharge im Schmierenzirkus

Exzesse feiern, wie sie fallen: Marcella Masturbani, Party-Korrespondentin des Umsonst-Magazins „[030]“, ist Berlins lustigste Nightlife-Kolumnistin. Leider ist auch sie nicht völlig frei von jener Borniertheit, die das Hipstertum der Hauptstadt kennzeichnet

von JÖRG SUNDERMEIER

In Berlin über Prominente zu schreiben, und das auch noch regelmäßig, stellt einen Autor vor hohe, manchmal unerreichbare Anforderungen. Wie zuletzt die Berlinale wieder einmal bewiesen hat, kann die Hauptstadt an Glamour noch immer nicht mit den internationalen Jetset-Places konkurrieren, sie liegt weit abgeschlagen. Vielleicht deswegen scheinen die Berliner Schreiberinnen und -schreiber der Lifestyle-Abteilungen beinahe zu sterben, wenn sie mal einer Person begegnen, die über die Grenzen Berlins oder gar Deutschlands hinaus bekannt ist. Marcella Masturbani, Kolumnistin des Umsonst-Magazins und Kino-Programmhefts [030] und Pseudonym des notorischen Partykönigs Marcello, ist da eine wohltuende Ausnahme, weil sie keinen Unterschied zwischen dem Berliner DJ Wolle XPD und dem Superstar Tom Jones macht. Das ist richtig verstandener Lokalpatriotismus.

Die große Leistung Marcellas erklärt sich ex negativo. Blätter wie der tip oder die Berliner Zeitung – anstatt sich schlicht damit zu begnügen, ihren Platz einzunehmen und angesichts des hiesigen Elends auf jedwede Lifestylekolumniererei zu verzichten – zwingen ihre AutorInnen gerne, über Krawall- und Knallchargen à la Udo Waltz und die Promimasseuse Dr. Dot zu schreiben. Mehr noch, sie lassen ihre Andreas Kurtz’ durch die Stadt eilen und sich als Agenten der Nacht gerieren. Heraus kommt, dass Betrunkene betrunken sind, ein tiefer Ausschnitt etwas entblößt und Prominente nichts anderes sind als Durchschnittstypen. Trotzdem müssen die Texte ein einziges „Huch“ sein, denn damit verdienen solche AutorInnen ihr Geld.

Marcella dagegen führt ihre Kolumne wohltuend anders: Sie feiert den Exzess, kümmert sich liebevoll um Drogenfragen und schreibt – wenn auch veralbert und überhöht – in ihrer Kolumne vor allem über ihr eigenes Leben. Was so viel heißt wie: Sie glaubt nicht, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Prominenz, über die sie schreibt, und ihrer eigenen Person. Umfassend verbreitet sie eitle Witze über sich selbst; stets verdoppelt sich Marcella in Marcello und seine „Schwester“ Marcella, und beide leben reich und wild. So wird das Genre der Lifestyle-Kolumne an sich verulkt. Und wenn gar nichts Lustiges mehr geht oder Berlin schrecklich langweilt, dann legt Marcella/Marcello noch weitere alberne Verkleidungen an und macht auf Didi, den Doppelgänger. Da das [030]-Magazin nicht die Village Voice ist, sondern auch in Spandau und Marzahn fleißige Leser hat, macht das Ganze nur noch eine Spur irrer und prima doof und schrill.

Leider kann dieser Artikel kein einziges Lob auf Marcellas Kolumnenkunst sein. Denn dass die selbst nicht frei ist von jener Dummheit, die das Nachtleben kennzeichnet, beweist sie in ihrer jüngsten Kolumne. Da erzählt Marcelle von Thailand und stellt plötzlich fest, was sonst nur deutsche Spießer zu wissen glauben. Unter dem im blöden Linglanglung-Humor verfassten Titel „Hai, Ti Thai ...“ schreibt die Ulknudel über „minderjährige Thai-Melkerinnen“ und rechnet deren angenommene Einnahmen vor: „bis zu 500 DM“ würden die im Monat von „süchtigen Spermabeuteln“ erhalten, die ihre Wohltäterinnen finanziell unterstützten. „Bei 4 Pensionären im Ausland macht das 2.000 DM. Plus laufende Spermaeinnahmen aus der Rotlichtbar mit ca. 1.800 DM! Macht summa summarum ca. 4.000 DM im Monat! Ein Vermögen! Man bedenke, dass der thailändische Monatsverdienst bei ca. 250 DM liegt!“

So münzt man im Plauderton Kinderprostitution in die Ausbeutung der Sextouristen um und diffamiert die Opfer der Bumsbomberbesatzungen als geldgeil, potenziell aidskrank und besser verdienend als die meisten Marcella-Leser. Daneben liest man noch, dass die Drogenfahnder „ihr Gehalt aufbessern, indem sie Euro-Schnubbern ‚Gekko-Kacke‘ andrehen“ und von den Gefahren der „thailändischen Sorglos-Elektrik“.

Was Marcella hier in aller Albernheit – die Kolumne sollte sich eigentlich wieder einmal gegen die Dummheit der normalen Deutschen wenden – reproduziert, sind rassistische und sexistische Klischees. Das lässt sie selbst dann aber auch nur als eine weitere Knallcharge in dem Schmierenzirkus erkennen, über den sie sich, wie man zunächst dachte, ziemlich lustig-lustig macht.

In der Berliner Promipiefigkeit herrscht jene immanente deutschtümelnde Vorurteilshaftigkeit, die wiederum den sekundären Rassismus auf den hiesigen Hipsterparties markiert („schöne Neger“ werden als livrierte Diener eingesetzt, „billige Russen“ müssen draußen bleiben, etc.). Marcella, obwohl als rauschgeiler Crossdresser auch nur als Exot geduldet, ist dieser Logik offenbar so vollständig verfallen, dass auch sie in Thailand nichts als Dienerinnen und Pagen ausmachen kann, die versuchen, ihre Arbeitgeber zu bescheißen. Dass sie damit Kinderprostitution herunterspielt und ihre Freier zu Preisverhandlungen („4.000 DM!“) animiert, ist ihr vielleicht gar nicht klar. Das Nachtleben hält sie leider völlig beschränkt.

Heute Abend tritt Marcella Masturbani beim Karneval in der Kulturbrauerei auf.