„Nich` mal wie D-Jugend“

Beim traurigen 0:0 zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund kommen die beiden patzerigen Torhüter kaum an den Ball, und was sich zwischen ihnen tut, verdient nicht den Namen Fußballspiel

aus Gelsenkirchen BERND MÜLLENDER

Zu den unumstößlichen Weisheiten des Fußballs gehört der Satz: Gewinnen ist wie verlieren – nur umgekehrt. In Gelsenkirchen wurde das Bonmot am Samstag weitergedacht: Nicht gewinnen ist wie nicht verlieren – nur genauso. Die eisig kalte Doppelnull zwischen den beiden Erzrivalen war ereignisfreier Nichtfußball in Perfektion.

Vom Hassduell war vorher (mal wieder) die Rede und vom Showdown der Emotionen. Schalke wollte erstmals drei Siege in einer Saison (inklusive Pokal) gegen das Böse von nebenan einfahren. Fans im Pott, die qua Geburt nur ent oder weder sein können, bezeichneten die jeweils anderen gern als „die aus der verbotenen Stadt“, als zöge die Namensnennung eine lethale Virusinfektion nach sich. Die Manager nannten sich gegenseitig „Kaschmir-Hooligan“ (Michael Meier über Rudi Assauer) und umgekehrt „Klosterschüler“.

90 heruntergewürgte Minuten später gaben sich alle merkwürdig zufrieden. Der Klosterschüler vermied weise das Wort Spiel („hier diese Veranstaltung“) und meinte strategisch: „So ein Ergebnis ist in der Dramaturgie der Meisterschaft ein wichtiges.“ Der Kollege Kaschmir-Hooligan hatte ebenfalls „kaum guten Fußball“ gesehen, aber klagen wollte er auch nicht: Wenn keiner sonst da oben (Bayern, Leverkusen) gewinnt, ist ein Remis akzeptabel.

Die Trainerkonferenz dauerte höchstens 90 Sekunden. Dortmunds Matthias Sammer: „Ja, null null. Es war ein komisches Spiel, weil beide nicht das letzte Risiko gezeigt haben.“ Huub Stevens: „Man muss auch mal mit einem Unentschieden zufrieden sein. Beide hatten unheimlich viel Respekt. Beide wollten gewinnen, aber nicht mit koste es, was kostet es.“ Noch Fragen? Keine. Abgang.

Auch die Spieler wussten, dass sie viel und engagiert zugetreten, aber selten den Ball gestreichelt hatten, auch nicht der zweikampfschwache Möller hier oder Wunderkind Rosicky dort. Nicht mal die beiden traditionell patzerfreudigen Torhüter hatten was auf Lager. Wie auch, sie berührten kaum den Ball. (Gar nicht übrigens taz-Kolumnist Yves Eigenrauch. Grund: Virusinfektion. Hatte er das Wort Dortmund in den Mund genommen?)

Schalkes Mike Büskens hatte nachgeschmeckt: „Keine besonderen Leckerbissen.“ Dortmunds Fredi Bobic erklärte sich als Näher: „Wir hatten den Faden verloren.“ Und Christian Nerlinger horchte musikalisch nach: „Kein Rhythmus, sehr zerfahren.“ Für die unrythmischste Szene hatte er selbst gesorgt, als er gegen Schalke-Torwart Olli Reck böse nachtrat und mit Gelb ungerecht falschfarbig bestraft worden war. Dass der Tritt „auf keinen Fall Absicht gewesen“ sein soll, hat er wahrscheinlich selbst genauso wenig geglaubt wie alle der besonders passiven Dortmunder an den Sieg.

Der Höhepunkt der Veranstaltung hatte genau um 15 Uhr 59 stattgefunden. 62.109 verfeindete Augenpaare starrten kollektiv enttäuscht zur Anzeigentafel, als für Sekunden Bayern gegen Köln verdreht mit 1:0 eingeblendet, dann das Ganze korrigiert wurde und sich über den Zwischenstand 0:1 ein versöhnender schwarzgelb-königsblauer Jubel ergoss. Kurz danach, in Minute 33, war Nerlinger der erste harmlose Schuss des Spiels gelungen, der tatsächlich das Tor traf. Später ballerte Möller mal krachend Richtung Eckfahne, und auf der Tribüne waren darob sogar schwere Beleidigungen des Fußballnachwuchses zu hören: „Dat iss ja nich’ mal wie D-Jugend, ey.“

Will keiner Meister werden? Sie wollen es nicht zugeben. Aber sie müssen ja auch nicht Erster werden. Hauptsache lange im Rennen bleiben. Zum Kohlemachen in der Champions League reicht schließlich Platz vier – wenn nach der Saison noch ein Duell gegen vielleicht Jeunesse Reykjavik oder Viking Bratislava gewonnen wird. BVB-Meier: „Gedanklich orientieren wir uns an Platz fünf.“ Schalke-Trainer Stevens: „Wenn man oben ist, ist es schwierig, oben zu bleiben.“ Heißt: Nach Platz eins ist keine Steigerung möglich, also Enttäuschung wahrscheinlich. Bedeutet: Vorsicht, Titel droht!

Auf dem Rückweg saßen Fans beider Teams fast eine Stunde in einer defekten Straßenbahn fest. Auch das wurde gemeinsam ausgelitten. Nicht mal für gegenseitige Verhöhnungen hatte man noch Lust und Energie. Längst eingerollt war auch das große Transparent der Schalker Fans: „TV macht unseren Sport kaputt!“ Vorausschauender wäre gewesen: Solcher Fußball macht den Fußball kaputt. Und, nebenbei, auch das sensationsgeile Fernsehen.

Schalke unser; unser Sport: In der Straßenbahn singen sie so erfrischend altmodisch „Blau und weiß ist unsere Fußballgarnitur.“ Im Prospekt für die neue „Arena AufSchalke“, vorgeblich „die modernste Veranstaltungsstätte Europas“, steht so unschön bürokratisch, „das Veranstaltungsspektrum“ umfasse auch „Fußballspiele aus dem Bereich Bundesliga“. Glück AufSchalke.

Schalke 04: Reck - Hajto, Nemec, Büskens - Latal, van Hoogdalem, Kmetsch, Böhme - Möller - Sand, Mpenza Borussia Dortmund: Lehmann - Wörns, Oliseh, Kohler - Heinrich, Nerlinger, Dede - Rosicky (83. Sörensen) - Addo (61. Reina), Bobic, RickenZuschauer: 62.109 (ausverkauft)