Gotteslästerung

Seit dem Fall Salman Rushdie wird diskutiert: Müssen religiöse Gefühle stärker geschützt werden? Auch konservative Christen fordern eine Verschärfung des Anti-Blasphemie-Paragrafen

von GERHARD BESIER

In einer Satiresendung von RTL witzelte einer der Kabarettisten, wenn Jesus nicht gekreuzigt, sondern ertränkt worden wäre, hingen in bayrischen Klassenzimmern keine Kruzifixe, sondern Aquarien an der Wand. Brüller im Publikum. Prompt korrigierte sich der Witzbold und meinte, Ertränken sei ja unmöglich gewesen, da Jesus auf dem Wasser habe gehen können. Wieder ein Lacherfolg.

Es sind solche und andere Szenen, die den ansonsten schwerfälligen Apparat der Großkirchen in Bewegung setzen. Bischöfe rufen christliche Politiker an, alarmieren die Aufsichtsräte der Fernsehanstalten und fordern schärfere Gesetze, um den Gotteslästerern das Handwerk zu legen. Anscheinend kommt niemand auf die Idee, einmal darüber nachzudenken, wann und warum die Leute lachen. Denn würden sie nicht lachen, gäbe es in den Satiresendungen keine Witze mehr über die Kirche, ihren Stifter und sein Bodenpersonal. Nicht einmal mehr das. Lachen ist immerhin ein Lebenszeichen.

Am 14. November 2000 legte die CDU-Opposition einen Gesetzentwurf zur Änderung des Anti-Blasphemie-Paragrafen 166 des Strafgesetzbuches vor. Danach sollen künftig starke Sprüche strafbar sein, wenn sie eine „durch Form und Inhalt besonders verletzende Äußerung der Missachtung“ von religiösen Bekenntnissen darstellen. Durch diese gewundene Formulierung wollen die Religionsschützer eine Kollision mit der im Grundgesetz verbrieften Meinungs- und Kunstfreiheit verhindern. Entfallen soll dafür die bisherige Voraussetzung für die Strafbarkeit einer Gotteslästerung: Als Verunglimpfung religiöser Gefühle gilt in Deutschland nur das, was zur Störung des „öffentlichen Friedens“ geeignet sein kann. Solange die Leute lachen und sich nur eine besonders fromme Minderheit gestört fühlt, ist der öffentliche Frieden eben nicht gefährdet – so schien es jedenfalls.

Nach Ansicht der Unionsparteien und der Bischöfe haben in jüngster Zeit die Verunglimpfungen religiöser Bekenntnisse zugenommen, und solche Entgleisungen würden mangels vorhandener Rechtsgrundlage kaum noch geahndet. Darum wollen die CDU/CSU-Politiker das Rad der Strafrechtsgeschichte zurückdrehen und eine Verschärfung des Paragraphen 166 durchsetzen. Dieser hatte bei der Strafrechtsreform 1969 einschneidende Veränderungen erfahren. Seither ist ein individuelles religiöses oder weltanschauliches Empfinden kein Schutzgut mehr. Das soll sich nach dem Willen der Union ändern. Die Missachtung des religiösen und weltanschaulichen Toleranzgebotes soll wieder strafbar sein.

In konservativen Kreisen erregte das Theaterstück „Corpus Christi“ besonderen Anstoß. Es zeigte Jesus und seine Jünger als trunkene Gemeinschaft von Homosexuellen. An die Nieren ging auch die „Heiligsprechung“ eines Schwulen durch eine ehemalige Prostituierte in einer papstähnlichen Bekleidung – zu sehen bei einer Demonstration gegen den Papstbesuch in Berlin 1996. Schließlich empörten sich die Unionspolitiker über Nacktaufnahmen auf einem Altar des Kölner Doms.

In der westlichen Welt sind solche Provokationen sowie die Anstrengungen religiöser Minderheiten, diese zu unterbinden, wohl bekannt. Sie gehören zu einer Art Ritual. So präsentiert sich gerade die schwarze Künstlerin Renee Cox im Brooklyn Museum of Art auf einer Fotoinstallation als nackter Jesus, umgeben von zwölf schwarzen Aposteln. Bürgermeister Rudy Giuliano empört sich und will nun für Exponate in öffentlichen Museen eine „Schicklichkeitskommission“ ins Leben rufen. Der Mann sitzt im Glashaus. Im vorigen Jahr war nach einer Affäre seine Ehe in die Brüche gegangen. Die Amerikaner kennen das Problem und unterscheiden mittlerweile zwischen ehrlichen und verlogenen Heuchlern. Der evangelikale Prediger Jesse Jackson gehört zu den Ersteren. Im Interesse einer Aufrechterhaltung der öffentlichen Moral durch Religion will die Gesellschaft dem Evangelisten seinen Ehebruch gnädig verzeihen.

Ursache für solche Doppelbödigkeit ist die tatsächliche Entchristlichung der westlichen Gesellschaften bei einer gleichzeitigen Aufrechterhaltung der Fassaden. Nicht für einen selbst, wohlbemerkt, aber für die anderen ist es nötig, so zu tun, als ob. Martin Niemöller beschrieb die merkwürdige Haltung „kirchenfreundlicher Kreise“ schon 1939 so: „Natürlich bin ich kein Kirchgänger – aber: dem Volke muß die ‚Religion‘ erhalten werden.“ Auf diesem Boden gedeihen die Warnungen vor Dammbrüchen und der Ruf nach Schutzgesetzen. Solange die Kirchenzugehörigkeit eine bloß juristische Mitgliedschaft sein kann, die mit dem Glauben der Religionsgemeinschaft überhaupt nicht korrespondieren muss, bleibt es bei diesen Verhältnissen. Die Großkirchen sind es zufrieden, wenn nur die Austrittsrate nicht steigt.

Ein Problem entsteht für die multikulturelle, offene Gesellschaft freilich dann, wenn eine Subkultur ihren Glauben bis zum Letzten wirklich ernst nimmt und dem westlichen Spötter nicht nur mit politisch korrekter Empörung entgegentritt, sondern ihn tatsächlich wie einen Verbrecher bestrafen will. Der Fall Salman Rushdie war das Fanal. Es hat die westlichen Gesellschaften aufgeschreckt und eine breite „Fundamentalismus“-Debatte losgetreten. Sie hält bis heute an.

Die Sorge, dass eine Streichung der Friedensgefährdung in Paragraf 166 religiöse Fanatiker ermutigen könnte, mit der Faust oder gar mit der Waffe in der Hand für Allahs Ehre zu streiten, hat die CDU/CSU-Fraktion während der letzten Legislaturperiode davon abgehalten, den schon damals existierenden Gesetzentwurf im Parlament einzubringen. Jetzt in der Oppositionsrolle hat sie ihn vorgelegt. Am 8. Februar 2001 beriet der Bundestag in erster Lesung über den Entwurf. Er hat keine Chance. Die SPD hält den Paragrafen 166 in seiner jetzigen Fassung und im Zusammenhang mit anderen Strafbestimmungen (Beleidigung und Verleumdungen) für absolut ausreichend. Die Grünen befürworten sogar eine Streichung des ganzen Paragrafen, weil sie es für unangemessen halten, dass Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften einen höheren Schutz genießen sollen als andere gesellschaftliche Gruppen. Es wird also bei der Friedensgefährdung bleiben. Und die Reaktionen von Minderheiten auf hierzulande kulturübliche Späße zeigen, dass mit einer Störung des öffentlichen Friedens auch gerechnet werden muss.

Der Theologe GERHARD BESIER ist Lehrstuhlinhaber für Historische Theologie und Konfessionskunde an der Uni Heidelberg und Herausgeber der Zeitschrift „Religion, Staat, Gesellschaft“