vorlauf
: Der Flaneur

Nach Liebe habt ihr nicht gefragt (0.10 Uhr, Arte)

Amos Kollek lebt in Jerusalem und in New York. Er ist so alt wie Israel. Aufgeben wollte der Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur sein Land nie, auch wenn ihm „keine neuen Fragen und keine neuen Lösungen“ mehr zur politischen Lage seiner Heimat einfallen.

In Europa wurde Kollek als filmischer Flaneur bekannt, der am liebsten durch das East Village New Yorks stöbert, ein Flaneur in der Welt der Frauen, die vor Imbissbuden Männer anquatschen. Um einmal nicht alleine einzuschlafen oder die Miete oder den nächsten Crackrausch zu verdienen. „Sue“ heißen diese Filme oder „Fiona“. Sie sind rauh und manchmal quälend intim, wie die Fotografien von Nan Goldin. Mit Heldinnen, die ihren Blick bis auf einen Rest Bitterkeit leer geräumt haben und schon längst nicht mehr an die Logik des Herzens glauben. Anna Thomson spielt sie, behutsam und dennoch mit der ganzen Wucht eines existenziellen Notstands.

Amos Kollek, behüteter Sohn des früheren Bürgermeisters von Jerusalem, Teddy Kollek, liebt diese Geschichten „vom Rande und jenseits der Selbstzensur“ und bekennt sich in der Dokumentation von Eva Kammerer freimütig zur Huren-Idealisierung: Weil sich in ihren Biografien Geschichten von Müttern und Töchtern erzählen, von der Kluft zwischen Anarchie und Marktwert. Die Dokumentation zeigt Kollek in Jerusalem und New York, trifft seine Eltern, beleuchtet Amos’ Erziehung zwischen sozialistischem Elternhaus und Glaubenskriegen, zwischen Kibbuz und kindlichem Starkult: Bonnie-and-Clyde-Fotos zeigen den jungen Schauspieler mit seiner Freundin, Kinderzeichnungen dokumentieren seinen Wunsch, Burt Lancaster oder Clint Eastwood nachzueifern. Ein Traum, den er sich mit eigenen Filmen erfüllen wollte. Bis er erkannte, „dass ich nie so aussehen würde wie Burt Lancaster“. Also verzog er sich hinter die Kamera, drehte mit echten Huren und Junkies – und überließ ihnen in Improvisationen die eigene Inszenierung.

Am 7. März kommt ein neuer Kollek-Film in die Kinos: „Fast Food, Fast Woman“. Wieder mit Anna Thomson, nur ist es diesmal ein Märchen – ganz so als habe sich eine der Huren die Augen gerieben, die Leichenstarre abgeschüttelt und bei einem Diner angeheuert.

BIRGIT GLOMBITZA