Der Irak und die Fischer-Doktrin

Der Bundesfachausschuss Außenpolitik der Grünen kritisiert die US-Luftangriffe auf den Irak als „völkerrechtswidrig“. Aber das ist kein Widerspruch zu Joschka Fischer, sondern Strategie. Die Basis ist für die Moral, der Minister für das Geschäft zuständig

von PATRIK SCHWARZ

Die Resolution ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Völkerrechtswidrig und kontraproduktiv“ seien die US-Luftangriffe auf den Irak gewesen, befand der Bundesfachausschuss Außenpolitik der grünen Partei am Samstag in Hannover. Vier Tage zuvor hatte Bundesaußenminister Joschka Fischer bei seinem Besuch in Washington noch erklärt, er habe die Motive für die Angriffe der USA nicht zu kritisieren. Trotzdem waren selbst angereiste grüne Bundespolitiker mit dem Treffen des Fachausschusses, der sich aus Vertretern der Landesverbände zusammensetzt, zufrieden.

Was Außenstehenden als ein Widerspruch erscheinen mag, ist nach Auskunft von Partei-Insidern Strategie: Am Streitfall Irak erproben führende Grüne in Berlin derzeit mal wieder, wie sich moralischer Maximalismus und politischer Pragmatismus in einer Partei vereinen lassen.

Zynisch formuliert lautet die neue Formel, die Basis ist für die Moral zuständig, der Minister für das Geschäft. Grünen-Chef Kuhn sprach am Wochenende davon, „dass der deutsche Außenminister in den USA anders agieren muss als ein Parteivorsitzender in Deutschland“. Dies verstehe auch die Basis „sehr wohl“.

Vereinbart wurde das neue Konzept bereits am vergangenen Freitag, als Fischer zu einem vertraulichen Gespräch ins Auswärtige Amt lud. Teilnehmer der Runde waren die beiden wichtigsten Strategen der Partei, Kuhn und Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer, sowie die Bundestagsabgeordneten Angelika Beer und Christian Ströbele als Vertreter der Kritiker der US-Luftschläge. Fischer berief sich in dem Gespräch vor allem auf seine Begegnung mit US-Außenminister Colin Powell, der im Gegensatz zum US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld für den Irak auf eine „politische Lösung“ setzt. Da wollte Fischer nicht dazwischenpfuschen.

Die Partei und die Minister müssen eben jeweils ihre Rolle spielen – wenn sich diese Sprachregelung tatsächlich an der grünen Basis durchsetzen lässt, könnte Fischer seinem neuen Vorbild Powell bald das Wasser reichen. In den USA verbindet man mit dem früheren Generalstabschef die nach ihm benannte Militärdoktrin, die vorsieht, an zwei Orten gleichzeitig einsatzfähig zu sein. Genau darin ähnelt die Fischer-Doktrin der Powell-Doktrin: Künftig könnten die Grünen zwei Positionen zugleich halten: die moralisch nötige und die politisch mögliche. Die Planer in der grünen Parteizentrale dürften bei derartigen Aussichten dieselben glänzenden Augen bekommen wie in Powells Fall die Pentagon-Strategen.

Für Fischers Kritikern dagegen sieht das Konzept wie eine Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtungen aus: Wenn die einen für die Moral und die anderen fürs Geschäft zuständig sind, wird endgültig die Basis im Land vom politischen Apparat in der Hauptstadt abgekoppelt. Fällt also die Empörung über die Fischer-Doktrin zu groß aus, wird sich zeigen, ob der Obergrüne auch Punkt zwei der Powell-Doktrin beherzigt hat: Plane keinen Einsatz ohne Ausweg.