Die Giganten kommen

aus Bremen JAN KAHLCKE

Die Entscheidung ist gefallen – für Wilhelmshaven, für Niedersachsen. Das zumindest meldet die Deutsche Verkehrs-Zeitung (DVZ). Die Regierungschefs von Hamburg, Bremen und Niedersachsen – Ortwin Runde, Henning Scherf und Sigmar Gabriel – haben sich dem Branchenblatt zufolge auf die Stadt am Jadebusen als Standort für einen neuen Tiefwasserhafen geeinigt. Hamburg, das Cuxhaven als Standort für einen gigantischen neuen Containerhafen favorisiert hatte, falle es nach dem Airbus-Erfolg leichter, der Wilhelmshaven-Lösung zuzustimmen, so die DVZ. Sollte dieses Votum Ende März von der zuständigen Arbeitsgruppe der Länder bestätigt werden – was als sicher gilt –, bedeutet dies eine tief greifende Veränderung für die strukturschwache Region und eine Neuordnung der Kräfteverhältnisse im Containerverkehr.

Über Jahrhunderte gab es an der deutschen Nordseeküste nur zwei bedeutende Häfen: Seit dem Mittelalter bekämpften sich die Hansestädte Bremen und Hamburg und verhinderten nach Kräften den Aufstieg weiterer Konkurrenten. Nun scheint die historische Chance für einen Newcomer da zu sein: Seit Jahren ungebrochenes Wachstum im Containerhandel macht den Einsatz von größeren Containerschiffen nötig, die aufgrund ihres Tiefgangs weder Hamburg noch Bremerhaven anlaufen können (siehe Kasten rechts). Wilhelmshaven oder Cuxhaven? Die Frage nach dem Standort eines neuen Tiefwasserhafens, mit dem die deutsche Hafenwirtschaft Rotterdam im Containergeschäft Konkurrenz machen will, war schnell gestellt. Die milliardenschwere Standortentscheidung wurde von der Unternehmensberatung Roland Berger begutachtet.

Die Fachleute fanden Erstaunliches heraus: Der Hafenbau für zunächst vier Liegeplätze wäre in Cuxhaven mit 376 Millionen Mark nur gut halb so teuer wie in Wilhelmshaven (741 Millionen Mark.), wo kostspielig Terrain aufgeschüttet werden muss. Auch Cuxhavens geografische Lage wäre günstiger für die „Feederverkehre“, also die Containerladung, die mit kleineren Schiffen weiter in den Ostseeraum geht – heute immerhin rund die Hälfte der in Hamburg und Bremerhaven umgeschlagenen Container. Außerdem wäre eine zweigleisige Eisenbahnanbindung erheblich günstiger zu haben: Die zu schließende Lücke ist nur 5 Kilometer lang, bei Wilhelmshaven fehlen 50 Kilometer. Im späteren Betrieb wäre der Hinterlandverkehr über Schiene und Straße von Cuxhaven aus kostengünstiger abzuwickeln.

Die Empfehlung der Berger-Gutachter lautete dennoch Wilhelmshaven. Ausschlaggebend waren Prognosen über das Wachstum im weltweiten Containerverkehr. Demnach, so meint man bei Roland Berger, käme Cuxhaven etwa zwischen den Jahren 2022 und 2028 mit zehn Liegeplätzen an die Grenzen seiner Kapazität. Hier liegt Wilhelmshavens Stärke: Auf 10,5 Kilometer Länge können dort bis zu 24 Liegeplätze entstehen. Die Kosten der Infrastruktur, also für den Bau der Kaianlagen, würden laut Berger-Gutachten in Wilhelmshaven nach den ersten vier Liegeplätzen deutlich sinken. Zehn Liegeplätze wären nur noch gut anderthalb mal so teuer (1,275 Milliarden Mark) wie Cuxhaven (798 Millionen).

Dieser Argumentation sind die betroffenen Regierungschefs bei ihrem nicht ganz so geheimen Geheimtreffen am Freitag offenbar gefolgt. Ein gewichtiges Argument war wohl auch, dass wegen der geringen Fläche in Cuxhaven weniger Arbeitsplätze entstehen als in Wilhelmshaven. Auch wenn die Gutachter vor überzogenen Hoffnungen auf Beschäftigungseffekte warnen: Wilhelmshaven könnte als ständig ohne Wartezeit erreichbarer Hafen eine attraktive Alternative für die Reeder werden – und damit ein ernsthafter Konkurrent für Bremerhaven und Hamburg, wo große Schiffe schon heute nur einlaufen können, wenn die Flut ihren höchsten Stand erreicht hat.

Doch die allerletzte Entscheidung fällt erst in knapp fünf Wochen, am 31. März. Offen ist bislang noch die alles entscheidende Frage nach der Finanzierung. Anders als in Deutschland bisher üblich, ist Niedersachsen nicht in der Lage, die Terminal-Infrastruktur zu bezahlen. Aber auch dafür haben die Berger-Gutachter schon eine Lösung parat. Sie schlagen vor, erstmals das System der Hafenfinanzierung zu ändern: Wie in Großbritannien längst üblich, sollen private Investoren mindestens die Hälfte der Infrastruktur finanzieren. Die Reeder würden dann entsprechend stärker zur Kasse gebeten – schließlich wächst ihr Kostenvorteil gegenüber Rotterdam, je dichter sie mit den großen Schiffen an die Ostsee kommen. Diese Rechnung geht nur auf, wenn die Hinterlandverbindungen – also Schiene und Straße – entsprechend ausgebaut werden. Und da ist wiederum der Staat gefragt. Wenn der Bund hier nicht erheblich investiert, ist an beiden Standorten der Verkehrsinfarkt programmiert. Die Folge wären überlange Wartezeiten für die Container. Und Zeit bedeutet immer noch Geld.