Die Zeit der Diplomatie ist vorbei

■ Warum der Islambeauftragte der Bremischen Evangelischen Kirche mit Milli Görüs den Dialog will / Nachlese zu einer Tagung der islamistischen Organisation

Die islamistische Milli Görüs wird vom Verfassungsschutz beobachtet – weil sie einen Gottesstaat will. In Bremen hat sie rund 900 AnhängerInnen, acht Moscheen gehören zu ihrem Einzugsbereich, so der jüngste Bericht des Senators für Inneres über den Extremismus im Land Bremen. Das hielt den Islambeauftragten der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK), Heinrich Kahlert, nicht ab, jetzt einer Einladung der Organisation nach Köln zu folgen.

taz: Herr Kahlert, welches Interesse hat die BEK daran, dass Sie bei solchen Veranstaltungen als Referent auftreten?

Heinrich Kahlert: Das weiß ich nicht. Ich bin von den Muslimen direkt angesprochen worden. Wohl, weil ich in der Ad-hoc-Kommission gesessen habe, die die Handreichung „Zusammenleben mit Muslimen“ erarbeitet hat.

Thema der Veranstaltung war „Fremdenfeindlichkeit in Deutschland“. Wurde auch über die Weltsicht von Milli Görüs gesprochen?

So direkt nicht. Aber ich habe Sachverhalte zur Sprache gebracht, die uns zweifeln ließen, ob bei Milli Görüs alle die Spielregeln der freiheitlichen Demokratie verstanden haben. Ich habe von den Vorbereitungen zur ersten Bremer Islamwoche und dem aktuellen Aufbau einer multikulturellen „Seelsorge“ in der St. Jürgens-Klinik berichtet, wo Musliminnen gesagt haben, Aleviten sollten nicht sagen dürfen, wie sie den Islam sehen.

Wie war die Reaktion?

Klug. Einzelne haben angeführt, alevitische Freunde zu haben – und Generalsekretär Mehmet Erbakan hat klar gemacht, dass das nicht sein dürfe. Im übrigen weise ich darauf hin, dass es ein altes Spiel ist zu sagen, Milli Görüs sei verfassungsfeindlich. Wir hatten deshalb, als der damalige Innensenator Borttscheller das immer wieder betonte, ja Mehmet Erbakan zur Diskussion über die Verfassungstreue von Milli Görüs eingeladen.

Borttscheller war dabei vor allem wegen seiner undifferenzierten Ausgrenzung gegen Muslime in die Kritik geraten. In der Sache war klar, dass der Verfassungsschutz die Gruppe beobachtet.

In der Sache haben wir insofern widersprochen, als dass wir gesagt haben, aus dieser Moschee liegen keine konkreten Erkenntnisse vor. Dabei ist sinnvoll, dass der Verfassungsschutz wachsam ist. Alles was die Grundlagen der Toleranz abschaffen will, darf Toleranz nicht beanspruchen.

Im kürzlich in der Bürgerschaft vorgestellen Extremismus-Bericht heißt es, das aktuelle Thema von Milli Görüs sei „die Bemühung um Anerkennung als weltoffene Organisation im gesellschaftlichen Raum.“ Haben Sie nicht Sorge, zum Aushängeschild für „Weltoffenheit“ einer Organisation zu werden, die ganz andere Ziele verfolgt?

Über diese Fragen müssen wir mit ihnen diskutieren.

Zur Tagung am Wochenende waren viele Referenten eingeladen – der Zentralrat der Juden hat abgesagt. Es ist auch noch nicht lange her, dass Milli Görüs sich antisemitisch geäußert hat.

Ich habe auf einem Podium des Islamrates, von dem der Verfassungsschutz auch weiß, dass der Milli Görüs nahe steht, neben Michel Friedman gesessen. Ich weiß auch, dass Rabbi Barslai zu Referaten und zum Fastenbrechen in die Fatih-Moschee gekommen ist.

Was haben Sie am Wochenende „gelernt“?

Ich habe gelernt, dass es durchweg auf offene Ohren stößt, wenn ich sage, die Zeit der Diplomatie ist vorbei. Gerade bei den jungen Leuten ist so viel Problembewusstsein, Vertrauen und Integrationswille da, dass man mit denen auch die schwierigen Fragen angehen kann wie: Wie verfassungstreu ist Milli Görüs? Dabei kann man die islamische Antwort nicht immer mit unseren Wahrnehmungsmustern deuten. Man sagt immer, der Islam kann Kirche und Staat nicht trennen – bloß der Islam hat gar keine Kirche. Die Sache mit der legitimen Herrschaft wird nun mal im Islam anders beantwortet. Ich glaube, wir müssen den Muslimen vorbuchstabieren, dass die Trennung von Heilsgemeinschaft und Rechtsgemeinschaft auch bei uns das Ergebnis eines langen, mühsamen Prozesses war – von Religionskriegen. Das kann man nicht mal eben in zwei Stunden machen. Nur dürfen wir nicht in ermüdender Weise immer wiederholen, die Muslime könnten das vom Grundsatz her nicht. Fragen: E. Rhode