village voice
: Raus aus der Schule: Delbo, Tunic, Monsieur Mo Rio

Schaum und Sorgen

Man kann gegen den Fritz-V2-Sampler „Berlin macht Schule“ ja sagen, was man will, ein Verdienst kommt ihm sicher zu: Er hat die Dinge ins rechte Lot gebracht. Tauchten doch vor seinem Erscheinen öfters mal Zweifel daran auf, ob denn nun wirklich alles so gut ist, was aus den Häusern Kitty Yo, Bungalow, Monica oder Lok kommt, und ob da nicht doch der Hype die Geschmäcker und Urteile gehörig mit beeinflusste. Da spürte man hie und da schon die Lust, an diesen Thronen zu sägen, einfach mal so, aber auch weil mancher Wohlgesonnene der Surrogats, Minas oder Peaches auf plötzlich allen Kanälen überdrüssig geworden war.

„Berlin macht Schule“ aber hat gezeigt: Es ist alles okay so. Gebt uns mehr Musik von Kitty Yo, mehr von Bungalow, mehr von Monika, gebt uns alles! Es ist halt ein Unterschied, ob nun ein Radiosender definieren will, was der Sound von Berlin ist und dazu auch seinen gesamten Apparat miteinbringt, der als solcher schon misstrauisch macht: Radioshow, Werbejingles, das ColumbiaFritz, in dem sich jetzt ein Mal im Monat von Fritz ausgesuchte Berliner Bands live vorstellen. Oder ob es weitestgehend unabhängige Plattenfirmen sind, die es seit Jahren gibt, die auf einen großen Erfahrungschatz zurückgreifen können, die wissen, was zu ihren Labels passt und was nicht, was sie veröffentlichen können und was besser nicht.

Richtig blöd ist das vor allem für die Bands, die ausschließlich über den „Berlin macht Schule“-Sampler bekannt wurden und so unter Verdacht stehen, sich strategisch in die richtige Spur zu schieben, obwohl sie eigentlich nur die Gelegenheit nutzen wollten, einen Song zu veröffentlichen. So wie Delbo, eine Band, die nach ihrem ersten öffentlichen Erscheinen auf besagten Sampler jetzt auch ihr Debütalbum mit dem kryptischen Titel „Holt Boerge“ nachgeschoben hat, auf einem Kleinstlabel übrigens, und damit nun wieder unter neuen Voraussetzungen gehört werden will.

Die Songs auf dem Album sind frei von Berliner Strangeness-Faktoren und eher nett und gefällig als zwingend anders. Noisepop, wie man ihn in den Achtzigern in England gemacht hat, Gitarrenrock, wie man ihn aus Amerika kennt, Musik, die an die von Geschmeido genauso erinnert wie an die von Liquido. Delbo wissen, wie man Spannung mit fetten Gitarren aufbaut, wie man sie wieder abbaut und dazwischen eine Melodie zum Mitsummen platziert. Dazu singen sie über das, was junge Leute, die gern Musik machen, noch so beschäftigt: „Ich trenn mich nicht von deinen Sorgen, ich trenn mich nicht von dir am Morgen.“ Oder: „Ich frage mich, was sie wohl gerade macht, ob sie wohl gerade erwacht, ob sie wohl gerade lacht oder an mich denkt“.

Sehr schön an diesem Berlin-Musik-Boom ist aber auch, dass es immer wieder Bands und Projekte gibt, die durch alle Raster fallen und weder hier noch da hingehören. Eine Band wie Tunic zum Beispiel, die schon seit fünf Jahren existiert, aber erst dieser Tage ihr Debütalbum „Gently Today“ veröffentlichen konnte. Das Album erscheint beim Weilheimer Labelverbund Kollaps/Hausmusik und klingt zuweilen mehr nach bayerischem Postrock als nach Berliner Schule (hach!). Sehr ausgeklügelte und reif wirkende Songs sind das, die rauf- und runtergehen, mal entrückt wirken, dann wieder ins Hier und Jetzt packen und von der Sängerin und Bassistin Kathleen Doherty durch ein Wunderland von Rock und Schaum geführt werden. Musik, die sich einiges abgeschaut hat von einstigen US-Indie-Größen wie Bitch Magnet oder Codeine, die aber auch gut korrespondiert mit der Berliner Band Komëit (deren Chris Flor ist als Gast dabei).

Aus einer ganz anderen Ecke wiederum kommt ein Herr mit dem Namen Monsieur Mo Rio. Er entstammt einer Off-Indie-Szene, die mit viel Sinn für Krauses und Krudes ausgestattet ist, und hat sein erstes Album „Click et Craque“ bei Lötboy Tapes und Fucky Laibel herausgebracht.

Hört man das Album, wird sofort klar: Monsieur Mo Ro alias Moritz Finkbeiner ist ein Wiedergänger von Syd Barrett, ein Bruder von Dan Tracy, ein Freund von Daniel Johnston. Seine Songs mit den französischen Lyrics sind so low-fi wie möglich produziert, sind kleinteilig, verspielt und melodiös und brechen immer dann ab, wenn’s am schönsten ist. Spinnermusik galore und supreme.

GERRIT BARTELS

Delbo: „Holt Boerge“ (loob musik). Tunic: „Gently Today“ (Kollaps/Hausmusik). Monsieur Mo Ro: „Click et Craque“ (Fucky)