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: „Doch ein Gedanke hat mich umgebracht: Ich bin kein Geist und kann nicht zu dir hüpfen“ – Shakespeares Sonette

Der schönen Strophen Erben

Nym: „Pfui!“

Pistol: „Pfui, du selbst, isländischer Hund! Du spitzgeohrter Hund von Island!“ (Aus: „Heinrich der V.“)

Meine erste Begegnung mit Shakespeare fand im Englischunterricht der sechsten Klasse des Ratsgymnasiums vor fast einem Vierteljahrhundert in Wolfsburg statt. Der aus Sachsen stammende Lehrer sächselte kess von der Seite: „Und wie übersetzt der Müller denn Shakespeare?“ Nach Momenten der Ratlosigkeit gab er selbst die Antwort: „Schüttelspeer.“ Das fanden alle Schüler sehr komisch und merkten sich die Vokabel. Ja, damals war Humor noch etwas, bei dem trotzdem gelacht wurde. Seit zwei Jahren spricht nun meine Freundin Renata Stih immer wieder davon, Hamlet zu verfilmen und mir die Rolle des dänischen Königs anzuvertrauen. Das Drehbuch, ein kleines Reclambändchen, liegt mittlerweile irgendwo versteckt in einem der Bücher- oder Zettelstapel. Aber ich bin mir sicher, dass ich es wiederfinden, die Rolle einstudieren werde und dass der Film irgendwann gedreht werden wird.

Vielleicht sollte mein Weg zu Shakespeare vorerst mit seinen Sonetten beginnen. Neben seinen 26 überlieferten Werken besteht sein dichterisches Oeuvre aus einem Sonettzyklus von 154 Gedichten. Liebesgedichte, gerichtet an unbekannte Adressaten, als da wären ein schöner Jüngling und eine dunkle Dame. Es gibt wohl wenige Gedichte, die so oft interpretiert, übersetzt und umgedichtet worden sind. „Shakespeare is everything“, jubilierte im Jahr 1992 die Sunday Times und bezeichnete den Meister als den Popstar der Postmoderne. „And everything is Shakespeare“, stelle ich nach einer Recherche im Internet fest.

Nicht nur, dass ihn die taz am 6. November vergangenen Jahres auf der Wahrheit-Seite als Kiffer geoutet hat. Belege seien neben den erhaltenen und kriminaltechnisch untersuchten Pfeifen, so die Redaktion der „Wahrheit“, Beschreibungen dunkler Bilderwelten und langer geistiger Reisen, besonders in seinen Sonetten. Auch die Gayszene feiert im Hamburger ABC-Forum „unseren“ Dichter durch eine Lesung mit Musikbegleitung. Dazu rasseln möglicherweise die Gebeine von Stefan George, der sich wie Oscar Wilde an den Sonetten versuchte. Und wo doch gerade vom Denglish, also dem allzu starken Einfluss der englischen Sprache ins Deutsche, geredet wird, ist es schön zu hören, dass die Sonette von Renate Wüstenberg sogar ins Mecklenburger Platt übersetzt worden sind und ebenda dargeboten werden.

Für das Goethe-Institut in San Francisco tanzt Nigel Charnock derweil unter musikalischer Begleitung des Jazzmusikers Michael Riessler das Stück „Fever“, ein Fieber, inspiriert von Schüttelspeers Sonetten. So lernt das Publikum vielleicht, dass Shakespeare und sein nachhaltiger Einfluss mit Elfenkönig Oberon und seinem Reigen dazu beigetragen haben, dass aus mittelhochdeutschen „Elben“ und „Alben“ irgendwann die englisch inspirierten deutschen „Elfen“ wurden. Im Zuge der Romantik zwar erst, aber dann doch richtig.

Und jetzt Ulrich Erckenbrecht, der in seinem Muriverlag so unterschiedliche Titel verlegt wie „Katzenköppe“ (1995), „Die Geschichte vom Rotkäppchen“ (1997) und „Divertimenti“ (1999): „Shakespeares Sonette in freier Übersetzung von Ulrich Erckenbrecht“. Eine sehr muntere Fassung, wie mir scheint: „Doch ein Gedanke hat mich umgebracht: Ich bin kein Geist und kann nicht zu dir hüpfen; aus Wasser und Erd bin ich gemacht und kann der Zeit nicht körperlos entschlüpfen.“ Und eine sehr freie dazu, wie der Autor in seinem kurzen Vorwort „Keine lange Vorrede“ betont. Zwar habe er die meisten Wörter nachgeschlagen, die in den Sonetten vorkämen, andererseits nicht wörtlich übersetzt, sondern versucht, das Wesentliche des Sinns zu treffen und zugleich den Schwung des Originals nachzubilden. Und so schenkt er sozusagen den schönen Strophen Erben, sodass die ird’sche Anmut nie verglüht, und wenn die Zeit heranreift und sie sterben, erneuern zarte Kinder ihr Geblüt.

Die Urstrophen finden sich in Erckenbrechts schwung- und lustvoller Übersetzung sämtlich als Faksimile nach dem Londoner Erstdruck von 1609 wieder. Übrigens hat Shakespeare auch in der Sache mit dem isländischen Hund völlig Recht gehabt: Die einzige isländische Hunderasse hat überaus spitze Ohren, gilt als überaus klug und ähnelt am ehesten dem Spitz. WOLFGANG MÜLLER

„Shakespeares Sonette in freier Übertragung von Ulrich Erckenbrecht“. Muriverlag, Kassel 2000, 12 DM