Klimawandel sorgt für dünnes Eis

Wenn die Nordwestpassage in 15 Jahren im Sommer schiffbar ist, hat Kanada nicht nur ökologische Probleme

NEW YORK taz ■ Es war im Jahr 1845, als sich der Brite Sir John Franklin vom Eis einschließen ließ, um die Befahrbarkeit der fabelhaften Nordwestpassage durch Kanadas Inselwelt nachzuweisen. Kein Mitglied der Expedition überlebte. 100 Jahre später brauchte die St. Roch der Canadian Mounted Police 27 Monate für die Durchfahrt von Alaska zu den offenen Gewässern der Baffin Bay zwischen Kanada und Grönland. Im vergangenen Sommer machte die St. Roch II die Reise in gerade mal einem Monat. Der Kapitän, Ken Burton, äußerte eine gewisse „Besorgnis, dass wir kein Eis gesehen haben“.

Die Route verkürzt den Weg zwischen Europa und Asien im Vergleich zur Passage durch den Panamakanal um 8.000 Kilometer. In 15 bis 20 Jahren, so die Vorhersagen, dürfte sie in jedem Sommer eisfrei sein.

Kein Wunder, dass die immer neuen Belege für den Treibhauseffekt in Kanada mehr als anderswo gemischte Gefühle auslösen. Konkrete Auswirkungen auf die Schifffahrt haben sie jetzt schon. Der Hafen von Churchill an der Hudson Bay sollte 1995 mangels Schiffsverkehr schon geschlossen werden. Jetzt erfreut er sich wachsender Beliebtheit für den Getreidetransport, da sich die eisfreie Periode von Jahr zu Jahr verlängert. „Wenn die globale Erwärmung eintritt, gibt es für Churchill nur einen Weg: aufwärts“, freut sich Kanadas Transportminister David Collenette.

Nicht alle nehmen diese Entwicklung als unverhofften Segen wahr. Umweltschützer warnen vor den Auswirkungen eines dichten Schiffsverkehrs durch die arktischen Gewässer, insbesondere vor Ölunfällen wie vor Alaska. Eisbrecher würden die Wanderrouten der Karibus von Insel zu Insel unterbrechen. Inuit fürchten Verschmutzung und Überfischung ihrer Fischgründe.

Und nicht nur das: Kürzlich staunten ein paar Inuit am Cumberland Sound nicht schlecht, als sich das, was sie zunächst für einen Wal hielten, als ein U-Boot entpuppte. Bis die alarmierten Marineeinheiten aus über 2.000 Kilometer Entfernung angeflogen kamen, war der Spuk längst vorbei. „Die Kontrolle eines bedeutenden Seewegs steht auf dem Spiel“, sagt Ron Huebert, Militärwissenschaftler an der Universität von Calgary. „Dem möglichen Gewinn für die Schifffahrt steht ein Verlust an Sicherheit gegenüber.“

Kanada betrachtet die Nordwestpassage als nationales Territorium, da sie fast immer eisbedeckt und damit praktisch wie festes Land sei. Andere Länder, am lautstarksten die USA, bezeichnen sie dagegen als internationales Gewässer. Eine Studie der kanadischen Marine warnt besonders vor U-Booten anderer Nationen: „Indem sie unentdeckt umstrittene Gewässer durchfahren, könnten sie Kanada den Hoheitsanspruch absprechen und als Begründung die mangelnde Überwachung der Gewässer anführen.“

Bislang bewachen nur ein paar Handvoll Soldaten sowie eine 3.500 Mann starke Ranger-Truppe, eine Art Miliz, die fast vier Millionen Quadratkilometer. Eine ernsthafte Militärpräsenz jedoch „würde den allergrößten Teil des Verteidigungshaushalts absorbieren“, warnt Colonel Howie March, der einen entsprechenden Bericht ausarbeitete. Doch die Militärs lassen sich davon nicht entmutigen und überlegen bereits den Einsatz von Überwachungssatelliten und unbemannten Drohnen. Colonel Pierre, Oberbefehlshaber über die nördlichen Militärgebiete, lässt keinen Zweifel daran, dass Kanada nicht mit sich spaßen lässt: „Wir werden unsere Interessen und unsere Ehre verteidigen, wenn es sein muss, mit Gewalt.“ NICOLA LIEBERT