Die Bauern ziehen sich zurück

„Wenn es länger dauert, sind wir am Boden zerstört“, fürchtet ein Landwirt im nordenglischen Northumberland. Die Seuche breitet sich weiter aus

aus Northumberland RALF SOTSCHECK

Alle dreißig Sekunden durchbricht ein Schuss die Stille. Es ist Sonntagmorgen auf der Burnside Farm in Heddon-on-the-Wall. Angestellte vom Landwirtschaftsministerium in gelben und roten Overalls haben in dem Ort im nordenglischen Northumberland damit begonnen, 500 Schweine mit Bolzenschussgeräten zu töten. Die 350 Schweine und 35 Kühe des Nachbarhofes müssen ebenfalls sterben.

Ein Traktor, an den ein blauer Kipplader angehängt ist, bringt die Kadaver auf ein Feld neben dem Hof. Ein Bagger hat einen 150 Meter langen Graben ausgehoben, der mit zwei LKW-Ladungen Stroh, 260 Eisenbahnbohlen und 75 Tonnen Kohle ausgelegt wird. Der Bagger schaufelt die toten Tiere auf diesen Scheiterhaufen. Der Zutritt zur Burnside Farm ist versperrt, am Tor hängt ein Schild des Ministeriums: „Kein Zutritt wegen Maul- und Klauenseuche“. Wer das Schild ignoriert, riskiert eine Geldstrafe in Höhe von 5.000 Pfund.

Ursprungsort der Seuche

Von der Schweinemast in Heddon-on-the-Wall, das am römischen Hadrianswall liegt, ist die Seuche ausgegangen, so vermutet das Ministerium. Der erste Fall, der vorige Woche in einem Schlachthaus im südenglischen Essex entdeckt wurde, lässt sich bis zur Burnside Farm zurückverfolgen. Vom Schlachthaus, das Kunden in ganz Großbritannien hat, breitete sich das Virus des besonders ansteckenden Typs O in Windeseile aus. Wie der Erreger, der Paarhufer befällt, überhaupt nach Großbritannien gelangen konnte, wo die Seuche seit 20 Jahren nicht mehr aufgetreten ist, soll jetzt untersucht werden.

Die Medien haben in den Besitzern der Burnside Farm die Sündenböcke ausgemacht. Bobby und Ronald Waugh seien „Seuchenfarmer“, deren Schweine unter furchtbaren hygienischen Zuständen dahinvegetiert hätten, schrieb die Lokalzeitung Evening Chronicle am Wochenende. Tierschützer, die voriges Jahr eines Nachts auf den Hof eindringen und die Verhältnisse dokumentieren wollten, bliesen die Aktion ab, weil sie um ihre Gesundheit fürchteten. Martin Coutts, ein Sprecher der Tierschutzorganisation, sagt: „Der Hof war in einem entsetzlichen Zustand. Wir flüchteten und übergaben unsere Untersuchungen dem Landwirtschaftsministerium.“

Bobby Waugh, ein rundlicher Mann von Mitte 50 mit Gummistiefeln, Blaumann und Pudelmütze, verteidigt sich. Erst Ende vorigen Monats habe das Landwirtschaftsministerium die jährliche Routineuntersuchung durchgeführt und nichts zu beanstanden gehabt, sagt er. „Ich habe die Schweine zweimal täglich gefüttert und hätte sofort gemerkt, wenn es ein Problem gegeben hätte, weil sie dann nicht zum Futtertrog gekommen wären“, versichert Waugh. „Es ist doch nicht in meinem Interesse, kranke Tiere zu haben. Ich habe in den vergangenen Wochen wirklich nichts Auffälliges bei meinen Schweinen feststellen können. Wie soll ich denn etwas melden, das ich gar nicht gesehen habe?“

Ein Dorfpolizist sagt, die Burnside Farm sei eine Schweinemast wie jede andere. „Die Städter erwarten, das alles tipptopp ist“, sagt er. „Sie verstehen nichts von der Landwirtschaft, und die Landbevölkerung hat die Nase voll davon, dass die Städter ihnen vorschreiben wollen, was sie zu tun und zu lassen haben.“ In drei Wochen wollen 500.000 Mitglieder der Ländlichen Vereinigung in London demonstrieren. Es geht vor allem gegen das drohende Verbot von Treibjagden. Militante Tierschützer haben angekündigt, dass sie die Häuser von Jagdbefürwortern zerstören werden, während die in der Hauptstadt demonstrieren.

Die Fleischerläden in Northumberland sind gut besucht. Hilton Pratt, ein stattlicher Mann von Mitte 50, betreibt seine Metzgerei in Blaydon gegenüber von Heddon-on-the-Wall auf der anderen Seite des Tyne. „Wir hätten genug Fleisch bis zum Wochenende, wenn die Kundschaft einen kühlen Kopf behalten würde“, sagt er. „Aber das tut sie nicht, wir haben in den vergangenen Tagen viel mehr Fleisch als sonst verkauft, weil die Leute hamstern – und zwar nicht nur Schweinefleisch, sondern alle Arten von Fleisch. Es ist wie bei der Benzinkrise im vorigen Jahr. Damals gab es kein Benzin mehr, und wenn die Regierung das Transportverbot für Tiere verlängert, gibt es nächste Woche kein Fleisch mehr.“

Peter Brown sieht sogar das Ende der Landwirtschaft gekommen. Sein Hof liegt sechs Meilen östlich von der Burnside-Farm, knapp außerhab des Quarantänegebiets. Er ist seit 30 Jahren Landwirt, den kleinen Hof mit 60 Kühen und 120 Schafen hat er von seinen Eltern geerbt. Am Eingangstor hat er ein handgeschriebenes Schild angebracht: „Keep out!“ Die meisten Bauern haben sich eingeigelt, sagt er, sie verlassen ihre Höfe nicht mehr und wollen keinen Besuch. „Wir wissen doch selbst nicht, was los ist, niemand hat uns bisher informiert“, beschwert er sich. „Wir sitzen mit angehaltenem Atem vor dem Fernseher. Wir Bauern stehen vor einem Problem nach dem anderen, viele werden die neueste Krise finanziell nicht überstehen.“

Dabei schienen sich die Bauern gerade wieder etwas zu erholen. Seit 1995 ist ihr Einkommen um 70 Prozent gefallen. Das lag allerdings weder am Rinderwahn noch an der Schweinepest oder an den anderen Tierseuchen, die viele Herden heimgesucht haben. Die Kosten sind mit Steuergeldern bezahlt worden, allein die BSE-Krise hat den Staat bisher fast vier Milliarden Pfund gekostet.

Es ist die starke britische Währung, die den Bauern zu schaffen macht. Zwischen 1995 und vergangenem August ist das Pfund um 40 Prozent gegenüber dem Euro gestiegen. Im selben Zeitraum schlossen fast 20.000 Höfe, heute gibt es noch 350.000 Bauern. Die rechneten in diesem Jahr zum ersten Mal seit 1995 wieder mit Profiten, denn seit Herbst ist das Pfund um zehn Prozent gefallen, und auch die Marktpreise zogen etwas an. „Die Bauern sahen wieder etwas Licht am Ende des Tunnels“, sagt Brown. „Dann kam die Maul- und Klauenseuche.“ Zwar werden die Landwirte für die Tiere entschädigt, die getötet werden müssen, aber die Kosten für die Desinfektion und den Aufbau einer neuen Herde müssen sie selbst tragen.

Exporte aufs Festland

Selbst Bauern, deren Höfe nicht von der Seuche betroffen sind, werden in Mitleidenschaft gezogen, weil die Exportmärkte verloren gehen und die Viehpreise sinken. „Es kommt darauf an, ob die Seuche schnell unter Kontrolle gebracht werden kann“, sagt Brown. „Wenn es länger dauert, sind wir am Boden zerstört.“ Die Hoffnung, dass die Seuche durch die drastischen Maßnahmen räumlich eingegrenzt werden kann, hat sich nicht erfüllt. In der südenglischen Grafschaft Wiltshire ist ein Schlachthof betroffen, in Devon im Südwesten Englands wurden gestern und vorgestern zwei weitere Fälle entdeckt. In Highhampton müssen 1.500 Schafe und 600 Rinder Tiere getötet werden. Dem Besitzer dieses Hofs gehört auch die zweite betroffene Farm, in Hatherleigh. Der Bauer hat noch vor einer Woche Kühe auf das europäische Festland exportiert.

In Heddon-on-the-Wall schließt die Polizei am Sonntagabend kurz nach sechs Uhr die Schnellstraße A 69, die in 200 Meter Entfernung neben der Burnside Farm verläuft. Zwei Stunden später zünden die Leute vom Landwirtschaftsministerium den Scheiterhaufen an, auf dem 885 Tiere aufgestapelt sind. Innerhalb von Minuten lodern die Flammen hoch in den Nachthimmel. Das Feuer wird bis heute Abend brennen.