Russland noch kein Atomklo

Widerstand wächst: Proteste von Umweltschützern blockieren Gesetz zum Import von Atommüll. Der Widerstand wächst auch bei Nationalisten und Liberalen

BERLIN taz ■ Einen Etappensieg haben in der vergangenen Woche russische Umweltschützer verbucht. Wie erst jetzt bekannt wurde, vereitelten sie die Annahme dreier Gesetzesvorlagen, die den bisher verbotenen Import von Atommüll nach Russland legalisieren sollen. Nun können sie sogar auf einen Stopp des Gesetzgebungsverfahrens hoffen.

In einer ersten Lesung im Dezember waren diese Gesetze bereits von den Duma-Deputierten akzeptiert worden. Die für letzten Donnerstag angesetzte zweite Lesung musste nun angesichts heftiger Proteste vertagt werden.

Zu Beginn der Lesungswoche hatten rund 300 AktivistInnen aus allen Teilen der Russischen Föderation vor der Duma demonstriert. Unterstützt wurden sie von der liberalen Oppositionsfraktion Jabloko.

Auch zahlreiche russische Zeitungen verurteilen jetzt die Gesetzesvorlage. Plötzlich hellhörig geworden sind sie durch einen Bericht der in Moskau ansässigen Umweltorganisation Ecodefense über einen geplanten Dreiecksdeal zwischen der amerikanischen Energiebehörde, dem Atomministerium der Russischen Föderation und der taiwanesischen Atomindustrie. 7.500 Tonnen verbrauchten Brennstoffes der acht taiwanesischen Atomkraftwerke sollen per Schiff an die russischen Fernosthäfen Wanino und Wladiwostok geliefert und von dortaus per Bahn ins sibirische Gouvernement Krasnojarsk geschafft werden.

Die USA lieferten die wesentlichen Bauelemente für die acht Atomkraftwerke Taiwans. Um zu verhindern, dass deren verbrauchte Brennstoffe zur Atomwaffenproduktion benutzt würden, sicherten sie sich eine maßgebliche Beteiligung am Entsorgungsprozess.

Trotz des bisherigen gesetzlichen Verbotes war das russische Atomministerium seit einigen Jahren mit seinem Angebot zum Import radioaktiver Abfälle im eigenen Lande weltweit hausieren gegangen. Gegenüber dem Parlament hatte Atomminister Jewgeni Adamow seine Initiative damit begründet, in den nächsten zehn Jahren könnten der Entwicklung der russischen Astomwirtschaft und der Infrastruktur der lagerungswilligen Gouvernements durch den Import von etwa 20.000 Tonnen atomaren Mülls 15 bis 20 Milliarden US-Dollar zugute kommen.

Organisationen wie Ecodefense halten dagegen: Da in Russland bereits 14.000 Tonnen eigener atomarer Abfälle eher schlecht als recht gelagert würden, könnten die Importe zur einer ökologischen Katastrophe führen, bei der von „Entwicklung“ im Lande keine Rede sei.

Bei Meinungsumfragen haben sich 94,5 Prozent aller BürgerInnen der Russischen Föderation entschieden gegen Atommüllimporte ausgesprochen. Nationalisten und Liberale treffen sich plötzlich im Widerstand gegen das Projekt.

Wladimir Sliwjak von Ekodefense hofft nun, das Gesetz bis zur nächsten Lesung am 22. März in der Duma ganz zu Fall zu bringen. „Wir arbeiten jetzt sehr intensiv mit den Deputierten“, sagt er der taz. „Von denen verhalten sich viele so, als hätten sie gar nicht begriffen, worüber sie abstimmen. Natürlich ist es eine Katastrophe, dass die Ansichten des Volkes und seiner Abgeordneten bei uns so wenig zusammenfallen.“ BARBARA KERNECK