Bauernopfer verfängt nicht

Nachdem sich der türkische Zentralbankchef für die Finanzkrise verantwortlich erklärt hat und zurückgetreten ist, wird der Ruf nach einem Ende der Regierung Ecevit nur lauter

ISTANBUL taz ■ Der Berg hat gekreißt und ein Mäuschen geboren. Nach tagelangen Sondersitzungen der türkischen Regierung, der Spitzen der Koalition und zuletzt noch des Nationalen Sicherheitsrates in Ankara steht nun vorläufig fest: Schuld am „schwarzen Donnerstag“, als die Wechselkurse freigegeben wurden und die Lira 40 Prozent an Wert verlor, sind Zentralbankchef Gazi Ercel und Schatzamtschef Selcuk Demiralp.

Nachdem am Wochenende bereits durchgesickert war, dass Ercel zurückgetreten war, bestätigte Vizeministerpräsident Mesut Yilmaz gestern, dass auch Selcuk Demiralp gefeuert wurde. Die beiden waren die unmittelbar Verantwortlichen für das Antiinflationsprogramm und die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds.

Das Ergebnis entspricht nicht den Erwartungen der Öffentlichkeit. „Ecevit hat uns das eingebrockt, Ecevit muss gehen“, heißt es. „Der Ministerpräsident hält nichts von der Idee, zurückzutreten“, ließ Ecevit ausrichten. Auch an seinem Stellvertreter Hüsamettin Özkan, der offenbar tief in Korruptionsaffären verstrickt ist, hält er unbeirrt fest. Nach der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates am Montag versuchte er sogar, das Verhältnis zu Staatspräsident Sezer wieder zu glätten, und behauptete deshalb, die Sitzung mit dem Präsidenten sei „sehr konstruktiv“ gewesen. Das ändert aber an der Misere nichts. Obwohl die Zentralbank den Geschäftsbanken nun wieder frisches Geld zur Verfügung stellt und angeblich auch der IWF noch einmal kurzfristig Geld in die maroden Staatsbanken stecken will, erholt sich die Lira bislang nicht. Noch immer kostet 1 Dollar über 900.000 Lira, also fast ein Drittel mehr als vergangenen Mittwoch.

Die Folgen davon sind auf den Märkten und in den Handwerkergassen zu beobachten. „Nächste Woche ist das Opferfest, doch niemand kauft etwas“, klagen Händler. Normalerweise glichen die Tage vor dem höchsten islamischen Fest der Vorweihnachtszeit in Deutschland.

Vor allem da, wo die Menschen sowieso keine finanziellen Reserven haben, schlägt die Krise nun erbarmungslos zu. In Gaziantep, in Urfa und in Diyarbakir im armen, kurdisch besiedelten Südosten haben die Läden in ganzen Straßenzügen dichtgemacht. Viele Händler wollen gar nicht verkaufen, weil sie nicht wissen, welchen Preis sie berechnen sollen. Am schlimmsten trifft es Importeure. In den Häfen von Izmir und Istanbul stapeln sich Container, weil die Empfänger kein Geld haben, um die Ware auszulösen.

Angesichts des Ausmaßes der Katastrophe wächst auch hinter den Kulissen der Druck auf Ecevit. Gegenüber der Zeitung Radikal sagte ein hoher Militär, man fürchte, dass es nach den Feiertagen in der kommenden Woche zu heftigen Unmutsäußerungen der Bevölkerung kommt, „wenn bis dahin nichts Einschneidendes passiert ist“. Auch die Industrie drängt auf einen Neuanfang. „Diese Regierung“, so Ishak Alaton, ein einflussreicher Industrieller, zur taz, „hat jedes Vertrauen verloren. Sie sollte abtreten.“

JÜRGEN GOTTSCHLICH