Irritierende Raumerfahrungen

Wo Kunstwerke den Zuschauer einfach wegkicken und vor sich hinmonochromeln  ■ Von Hajo Schiff

Manchmal zeigt sich Kunst eher abwehrend: Da steht eine voluminöse Frauenfigur, doch diejenigen, die versuchen, zu ihr zu gelangen, werden mit einem Fußtritt begrüßt. Hi Guys! heißt die Styropor-Arbeit der Künstlerin Ingrid Scherr, und sie steht gleich am Eingang zur Überblicksausstellung der zehn Künstler, die im letzten Jahr als Hamburg-Stipendiaten zwölf Monate regelmäßig Geld erhielten, das die Kultursenatorin mühsam eingeworben hatte. Denn seit das wichtige und mit der Liste seiner bisher 208 geförderten Künstler auch prominente „Hamburger Arbeitsstipendium für bildende Kunst“ von der Kulturbehörde auf nur fünf Kandidaten gekürzt wurde, müssen die Hubertus-Wald-Stiftung und ungenannte Privatsponsoren einspringen, um weiterhin zehn KünstlerInnen jährlich fördern zu können.

Die kickende und Lieder singende Trash-Nana vom Eingang ist die einzige roh und frech daherkommende Arbeit, eigentlich sind die Objekte der vor elf Jahren aus Bayern gekommenen Ingrid Scherr ohnehin nur Teile komplexer Raumgebilde oder Mittel für ihre provokanten „Wortklangsoloperformances“. Alle anderen Künstlerinnen und Künstler halten es eher mit der Perfektion. Das gilt besonders für Christian F. Kintz und seine Farbsysteme aus monochromen Einzelbildern. In Fortführung der konkreten Kunst erobert er für seine mehrschichtig gemalten Bildtafeln räumliche Bezüge in jeweils veränderten Farbvariationen.

Auf gänzlich andere Weise bezieht sich der Maler Bendix Harms auf die Kunstgeschichte: Seine vielschichtigen Gemälde könnte man mit der Vorstellungswelt der Futuristen zu erfassen versuchen. Dafür spräche die überlagerte Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Realitätsebenen, aber auch die Tatsache, dass Autos und altmodische Flieger die Leinwände bevölkern.

Auch Fotografie ist zweimal vertreten: Aus der Forschung in ihrem Bildarchiv hat Renée Pötzscher Selbstbildaltäre von fast autistischer Hermetik gebaut, während Stefan Panhans Selbststilisierung in Videomitschnitten von Fotocastings zeigt und in seinen Photoserien Einblicke in die durchgestylte Welt des weiblichen Personals der Shopping-Malls gibt. Die oft irgendwie hilflos wirkende Gestaltung öffentlicher Räume ist Thema der Zeichnungen und Bilder der aus Kanada stammenden Linda McCue. In scheinbar hyperrealistischen Blättern zeigt sie idyllische tropische Campingplätze und kuriose städtische Brunnenanlagen. Der städtische Außenraum ist normalerweise auch der Bezugspunkt für die Skulpturen von Stefan Kern. Seine perfekt gearbeiteten, Design-Prototypen nicht unähnlichen Objekte vermitteln meist beiläufig irritierende Raumerfahrungen. Hier allerdings liegt seine große Kette aus weißem Porzellan etwas verloren herum.

Eher einsam sind auch die Figuren, die Christoph Bannat unter dem Motto „wovon man nicht sprechen kann, davon muss man zeichnen...“ in fein schraffierte Körperräume und Weltenträume entführt. Doch wie in letzter Zeit öfter in Hamburger Ausstellungen, ist die Arbeit von Katia Kelm in Materialwahl und Thema am spektakulärs-ten: Kranke Künstlerkrähen kreisen über einem Kornfeld, das sich über einem Untergrund erhebt, der wie ein aus den Rippen geschnittenes Stück Fleisch aussieht. Ein goldgelbes Kornfeld, darüber schwarze Vögel: das Sujet eines der letzten Bilder Van Goghs vor seinem Selbstmord hier als dreidimensionales Kabinettstück aus Knetmasse. Hatte Vincent nicht den Revolver, mit dem er Selbstmord verübte, unter dem Vorwand geliehen, Krähen schießen zu wollen? Katia Kelm weiß, dass die spätimpressionistische Künstlerlegende immer noch für viele der Maßstab fürs Künstlertum ist, eine ebenso kitschige, wie bedrohliche Verpflichtung. Schließlich kann sich nicht jeder das Ohr aufschlitzen, um berühmt zu werden...

„Stipendiaten 2000: Hamburger Arbeitsstipendium für bildende Kunst und Hubertus-Wald-Stipendium für junge bildende Künstlerinnen und Künstler“:Kunsthaus, Klosterwall 15, Di - So 11 - 18, Do - 20 Uhr; noch bis 18. März; Gesamtkatalog 25 Mark, Einzelkataloge je KünstlerIn 10 Mark