zoologie der sportlerarten
: PROF. HIRSCH-WURZ über den Zehnkämpfer

Frisbee nach dem Hahnenschrei

Der Zehnkampf ist eine weit gehend missverstandene Übung. Gern wird das Rennstoßlaufwerfhüpfen als kompliziert, anstrengend und höchst anspruchsvoll beschrieben. Dabei ist der Dekathlon in Wahrheit eine kinderleichte Sache. Erdacht für den durchschnittlichen Allrounder, der nichts richtig kann, aber alles probieren will, eine gewisse Flexibilität mitbringt und etwas mehr Zeit hat als ein ungeduldiger Sprinter, dessen Arbeitszeit manchmal kaum zehn Sekunden währt.

Im Prinzip braucht man als Homo multigladiatoriensis nur Zugang zu einem Stadion mit mancherlei Gerät, Freude an der Abwechslung und zum Mitzählen je fünf Finger an jeder Hand. Weshalb Sägewerker bisweilen als Teilnehmer ausscheiden. Früher, ohne Computerhilfe, konnten die Menschen noch nicht so weit zählen, deshalb reichte ihnen schon mal ein Dreikampf wie der starken Brunhilde aus Nibelungenland, die sich mit ihren Freiern im Steinstoß, Speerwurf und Sprung maß. Den alten Griechen genügte der Pentathlon.

Beim Doppel-Pentathlon heute geht es darum, zur Zeit des Hahnenschreis hundert Meter weit zu rennen, beim Weitsprung nicht dreimal den Balken zu verfehlen, eine schwere eiserne Kugel hochzuheben und dann versiert loszulassen, als Homo kaenguruensis über eine Latte zu fliegen und dann noch mal ein Stadion zerrungsfrei zu umrunden. Schon darf man sich über eine Punktzahl freuen und danach lange schlafen.

Bis zum nächsten Hahnenschrei haben gemeine Menschen Hindernisse in den Weg gestellt, die man beim Schnelllauf unfallfrei überqueren muss. Danach gilt es, eine gewichtige Frisbeescheibe wegzuwerfen. Für Hochsprung II darf man sogar einen biegsamen Stock benutzen. Nach dem Pfeilewettwerfen folgt noch eine leichte Joggingstecke von 1.500 Metern, bei welcher der Homo multigladiatoriensis Zeit genug hat nachzuzählen, ob er auch keine Übung vergessen hat.

Nach einer neuerlichen Addition kann man König der Athleten (Rex athletarum) sein. Und wenn man bei Olympischen Spielen bestpunktet, gilt man als Rex regum, als König der Könige. Monarchen selbst sind in der Terminologie zurückhaltender. Bei Olympia 1912 sagte der schwedische König zu Jim Thorpe, dem siegreichen Indianer: „Sie sind der wunderbarste Athlet der Welt.“ Es ist kein Wunder, dass der Homo multigladiatoriensis bei so viel blaublütigem Ansporn und Zuspruch zu Übermotivation und Überbeanspruchung neigt. Dies führt zu langwierigen Krankheiten wie Morbus Busemann oder sogar Morbus Meier.

Manchmal fehlt auch eine zumindest durchschnittliche Frische zwischen den Ohren. Der schlimmste Fall wurde beim einzig bekannten Exemplar des Homo hingseniensis beschrieben. 1988 in Seoul aber übertraf Jürgen Hingsen alle Erwartungen, als er als tolpatschiger Vierfachfehlstarter punktelos in der Weltrekordzeit von zehn Minuten fertig war. Der innerlich schwer verunsicherte Germanen-Apoll machte fortan in Versicherungen.

Deutsche zeigten schon immer reges Interesse am athletischen Thron. Willi Holdorf siegte 1964 in Tokio; 1988 gab es gar einen olympischen Doppelsieg durch die Multigladiatoren Christian Schenk und Torsten Voss aus der DDR. Was dem Staat der demokratischen Republikaner aber kaum half.

Empirische Studien zeigen, dass der Homo multigladiatoriensis oft aus leichtathletisch mäßig beachteten Ländern kommt. Etwa der Este Erki Nool oder der Tscheche Tomas Dvorak, der mit 8.994 Punkten auch am meisten zusammenzählen durfte. Gern vergnügt sich der X-Kämpfer in der Provinz: Orte wie Götzis, Lage, Rhede und Ratingen haben durch den Homo multigladiatoriensis tageweise Weltruhm erlangt. Warum der Zehnkampf bei Frauen Siebenkampf heißt, ist auch für die meisten Sägereifacharbeiter leicht nachzählbar. Zwar gibt es hier weder Morbus Busemann noch Morbus Meier, aber eine Frau, die einmal als älteste VII-Gladiatorin in die Annalen eingehen will. Sabine Braun, heute schon Ü35-Weltrekordlerin, ist das beste Beispiel, dass ein Mehrkampf auch im hohen Alter leichter Hand und leichten Fußes auszuüben ist.

Wissenschaftliche Mitarbeit :

BERND MÜLLENDER

Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 49, ist Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.