die stimme der kritik
: Betr.: Ich bekenne (3)

Wäre ich doch niemals auf dem Pflaster Frankfurts gestrandet

Hätten Sie mich noch vor kurzem gefragt, ob ich jemals in einer Wohngemeinschaft gefrühstückt habe, ich hätte es strikt geleugnet. „WGs“ haben doch etwas Anrüchiges. Aber um dem Vorwurf einer uneidlichen Falschaussage zu entgehen, bekenne ich jetzt: Auch ich saß einst an einem späteren Vormittag in der Küche eines besetzten Hauses in Frankfurt-Bornheim und habe Tee getrunken. Oder war es Kaffee? Geraucht habe ich, wenn ich so zurücksinniere, auch.

Ich betone, ich habe mir schon damals meine Gedanken gemacht. Im Bad hing ein Zettel bekritzelt mit: „Welches Schwein macht hier nie das Haarsieb sauber?“ Neben dem Toilettenbecken ein Vermerk: SITZEN oder PUTZEN. Ein Hinweis? Knast oder Putzgrupp’? Und dieser rüde, terroristische Umgangston! Die Küche selbst war ein reeller Gesamtmülleimer. Über der Spüle klebte ein dubioses Kalenderblatt, auf dem Namen wie Kotti, Gitti, Evi, Helmi notiert waren. Ein geheimer Einsatzplan mit Decknamen, muss ich heute annehmen, da sich der Abwasch türmte. Den Filterstummel meiner Benson & Hedges musste ich auf einer Untertasse, übervoll mit Kippen von Selbstgedrehten, ausdrücken. All das hätte mich warnen sollen, sofort das Haus zu verlassen. Tabak, Drehmaschinen – wie weit ist das von der rauschgiftkontaminierten Tüte entfernt? Oder gar vom selbst gebauten Mollie?

Gut, auch das werde ich jetzt enthüllen: Irgendwann setzte sich ein Typ aus irgendeiner anderen „WG“ des Hauses – ich schwöre, wir haben nicht im selben Stockwerk übernachtet – mir gegenüber. Seine braunen oder blauen Augen hatte er mit scheinbar müde herabgesunkenen Lidern getarnt. Er behauptete, in seiner Etage gebe es kein Brot mehr, was, wenn ich es jetzt bedenke, ein Vorwand gewesen sein muss. Aber wofür? Danach schwieg er beharrlich. Ob er etwas zu verheimlichen hatte? Als er schließlich aufstand, ein brotbekrümeltes, marmeladenverschmiertes Frühstücksbrett hinterlassend, die Hände in den ausgebeulten Hosentaschen, sicher geballt, und beim Hinausgehen „Rot’s Fröntle“ murmelte, war mir mulmig. Ehrlich! Ach, wäre ich doch niemals auf dem Pflaster Frankfurts gestrandet! Hoffentlich schreibt er nicht seine Memoiren und erwähnt unser Frühstück ...

Für alle Fälle beeide ich, dass ich seitdem nur noch Single-Haushalte aufsuche, vorzugsweise in Lofts mit polierten Messingaschern, einem Mondrian über dem Carraramarmor-Spültisch und Ernst-Jünger-Porträt über dem Bidet. ROSEMARIE NÜNNING