Schröder verlässt die Troika

Wie es kommt, dass ein Interview des Bundeskanzlers die deutsche Ablehnung des amerikanischen Raketenabwehrschilds NMD untergräbt: Schröder entdeckt die Vorzüge des NMD für die deutsche Wirtschaft – und überrascht Fischer und Scharping

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Es war eines jener Treffen, die offiziell nie stattgefunden haben. Fünf Tage vor der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar, dem bedeutendsten militärpolitischen Kaffeetrinken der westlichen Welt, setzen sich in Berlin drei Männer zusammen. Es sind die Berater von Bundeskanzler Schröder, Außenminister Fischer und Verteidigungsminister Scharping. Die informelle Runde hat den Auftrag der Chefs, die deutsche Position zum umstrittensten militärischen Großprojekt der Gegenwart festzulegen: dem amerikanischen Raketenschild NMD.

Die rot-grüne Regierung hält NMD für politisch, technisch und finanziell fragwürdig – entsprechend schnell ist sich das Trio einig: Auf der Münchner Konferenz werden Schröder, Fischer und Scharping eine gemeinsame Linie vertreten. Auch die Strategie ist abgestimmt: Um die neue US-Regierung von Präsident Bush, die NMD um jeden Preis in die Tat umsetzen will, nicht allzu offensichtlich vor den Kopf zu stoßen, kleiden die Deutschen ihre Einwände in Frageform. Die Sorgen sind zahlreich: Löst NMD ein Wettrüsten mit China aus? Treibt es Russland weiter in die Isolation? Wer soll das alles zahlen? Wie soll es überhaupt funktionieren?

Schröder und Fischer sprechen am 3., Scharping am 4. Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Sie wird für die rot-grüne Troika ein Erfolg. Nach zwei Jahren Koalition demonstriert sie: Wir wissen, was wir wollen. Deutlich vernimmt die deutsche Öffentlichkeit die Warnung vor NMD, während US-Verteidigungsminister Rumsfeld die Versicherung mit nach Hause nehmen konnte, Deutschland stehe zu seinem großen Bruder in Übersee. Das Glück währt keine vier Wochen.

Am 26. Februar gibt Gerhard Schröder dem Sender N 24 ein Interview. Fischers Vergangenheit, die Krise bei Daimler, die Zukunft der Ökosteuer – was Journalisten halt so fragen. Im letzten Viertel kommt das Gespräch auf NMD – und weder der Außen- noch der Verteidigungsminister sind auf Schröders überraschende Einlassungen gefasst.

Zum ersten Mal stellt der Bundeskanzler NMD als ein Projekt dar, das auch deutschen Interessen dient. Offen spricht er von den Chancen, die das Hightech-Projekt NMD für den Forschungs- und Technologie-Standort Bundesrepublik bietet. Das hat vor ihm noch kein deutscher Minister gesagt. Erst recht nicht Fischer oder Scharping. Gerhard Schröder ist aus der Troika ausgebrochen.

Mit ein paar Sätzen hat der Kanzler die deutschen Bedenken herabgestuft. Der Widerstand aus Berlin muss der US-Regierung in Washington in diesem Licht schnell als taktisch motiviert scheinen, als eintauschbar gegen eine Beteiligung an den wirtschaftlichen Segnungen der Rüstungsaufträge.

So stellt der Kanzler Freund und Feind vor ein Rätsel: Was hat ihn veranlasst, die Linie von München zu verlassen? Hat er sich verplappert?

„Der Bundeskanzler ist nicht unvorsichtig“, heißt es dazu im Kanzleramt. Trotzdem stelle seine Aussage keinen Kurswechsel dar. Alle Bedenken gälten unverändert.

Gleich ob unbewusst oder vorsätzlich – des Kanzlers Aussagen geben in jedem Fall preis, was ihn bewegt. In der Welt des Gerhard Schröder ist eben auch Friedenspolitik Wirtschaftspolitik.

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