„Schweren Fehler“ eingeräumt

Reemtsma-Prozess: Verteidiger von Thomas Drach plädieren auf milde Strafe. In seinem Schlusswort fordert das Entführungsopfer, den Angeklagten lange in Unfreiheit zu lassen

HAMBURG taz ■ Thomas Drach, 40 Jahre, hatte seine Anwälte gut instruiert. In deren Schlussplädoyer führten sie aus, dass ihr Mandant keineswegs hauptverantwortlich sei für die Entführung Jan Philipp Reemtsmas. Vielmehr sei der bereits zu zehn Jahren Haft verurteilte Wolfgang Koszics „der eigentliche Täter“, so Anwalt Rüdiger Spormann. Denn Koszics habe das Entführungsopfer erst nach Lektüre einer Ausgabe des Spiegel (in einem Bericht über Reemtsmas Moderation während des Hafenstraßenkonflikts) im Mai 1995 ausgesucht; Drach hingegen, den Reemtsma nach dem 33-tägigen Kidnapping als „intelligenten Verbrecher“ bezeichnete, habe das Opfer überhaupt nicht gekannt.

Darüber hinaus plädierten beide Anwälte für eine Haftzeit, die nicht über das Maß der gegen Koszics verhängten Strafe hinausgehen dürfe – also höchstens zehneinhalb Jahre. Die Zeit in argentinischer Auslieferungshaft – zwei Jahre und vier Monate – solle wegen der dort unwürdigen Zustände im Verhältnis eins zu drei angerechnet werden. Man könne es dem Angeklagten nicht zu seinen Ungunsten auslegen, wenn er aus seinen Mitteln sich diese Haftzeit komfortabel zu gestalten wusste.

Drachs Rechtsbeistände machten sich damit vollständig die Argumentation ihres Mandanten zu Eigen – und bestätigten obendrein die Einschätzung, die Mittäter Wolfgang Koszics im Zeugenstand über Drach machte: „Er neigt dazu, anderen ständig die Schuld zu geben.“ Die Verteidiger des Angeklagten gingen auch nicht auf das Plädoyer der Staatsanwaltschaft ein, nach dem Drach schon aus zeitlogischen Gründen keine Gelegenheit gehabt habe, die Hälfte des Lösegelds (30 Millionen Mark) an Koszics weiterzuleiten.

Der Angeklagte selbst bedauerte in seinem Schlusswort ohne besondere Emotionen die Tat, die er als „schweren Fehler“ bezeichnete: „Es war nicht meine Absicht gewesen, einer anderen Person körperlichen Schaden zuzufügen.“ Würde das Hamburger Landgericht sich der Rechnung der Verteidigung anschließen, käme Drach bereits Mitte 2003 frei. Zur Frage des Verbleibs des Lösegeldes teilte Drach auch am letzten Verhandlungstag vor der Urteilsverkündung nichts mit.

Jan Philipp Reemtsma interpretierte die vorgetragene Reue des Angeklagten schon während der ersten Verhandlungstage als nichtig und unglaubwürdig. In seinen Worten zum Ende des am 13. Dezember begonnenen Verfahrens fasste er seine Beobachtungen zusammen. Die Frage, ob er ermordet würde oder überleben dürfe, habe er im Laufe des Prozesses nun anders beantworten müssen: „Es ist knapper gewesen, als ich bisher geglaubt habe.“ Und, zur Charakterisierung der besonderen Gefühle, die bei Entführten und ihren Angehörigen ausgelöst würden: „Ich war ihm auf Leben und Tod ausgeliefert, meine Familie war unter seinem Kommando, abhängig von seinen Launen.“ Drach sei, sagte Reemtsma kühl und ohne besondere Anteilnahme in der Stimme, „ein dreister Spieler mit Desinteresse an jeglichem legalen Lebenswandel“ – eine Charakterisierung, die auch Prozessbeobachter über den Angeklagten nach dessen teils gefühllosem Agieren vor Gericht formulieren würden.

Zur Strafe, zur Strafzumessung sagte der Hamburger Philologe – der entführt wurde, weil er als Millionenerbe geboren wurde: „Ich bitte das Gericht, den Zeitpunkt, an dem Drach in Freiheit wieder Menschen gegenübertreten kann, weit in die Zukunft zu verlegen.“ Die Staatsanwaltschaft forderte vorige Woche für diesen „erpresserischen Menschenraubs“ vierzehn Jahre und sechs Monate. JAN FEDDERSEN