„Vielleicht hat das IOC jetzt kapiert“

Der Hormonforscher Dr. Christian Strasburger hätte schon bei den Olympischen Spielen in Sydney Wachstumshormon-Doping nachweisen können, erst jetzt aber erfährt sein Test Anerkennung – und Förderung vom Internationalen Olympischen Komitee

„Der Sportler der Zukunft wird sich nicht groß von dem unterscheiden, den wir jetzt schon haben“

Interview FRANK KETTERER

taz: Herr Dr. Strasburger, das Internationale Olympische Komitee hat Sie plötzlich als große Hoffnung im Kampf gegen das Dopen mit Wachstumshormon entdeckt. Was ist mit den alten Herren nur los?

Dr. Christian Strasburger: Das IOC hatte sich vorher einfach schlecht informiert. Anfang Dezember vergangenen Jahres war dann der Direktor des Büros der Medizinischen Kommission, Patrick Schamasch, bei uns zu Besuch, und wir hatten Gelegenheit, ihm zu erläutern, was wir erforscht hatten. Vielleicht hat es das IOC dadurch kapiert.

Auf jeden Fall hat Schamasch angekündigt, bei der weiteren Erforschung eines hGH-Nachweises „keine Zeit mehr verlieren zu wollen“. Vor den Olympischen Spielen in Sydney hatte es das IOC weit weniger eilig. Da wurde Ihr Verfahren mit zum Teil obskuren Begründungen abgelehnt.

Das ist richtig. Sachliche Argumente, die gegen unsere Idee vorgetragen wurden, zum Beispiel, dass sie bisher nur an weißen Sportlern ausprobiert worden sei, waren inhaltlich nicht nachvollziehbar. Auf der anderen Seite ist es so, dass wenn jemand ein Dopingnachweisverfahren etablieren möchte, gesichert sein muss, dass damit niemand zu Unrecht verdächtigt werden kann.

Sie haben damals die Vermutung geäußert, das IOC sperrte sich gegen Ihren Test, „weil sie offenbar Angst davor haben, dass da zu viel hochkommt“. Waren die Sydney-Spiele die Wachstumshormon-Spiele?

In der Szene wurden schon die Olympischen Spiele in Atlanta als die „growth-hormone games“ bezeichnet. Weil schon da klar war, dass Wachstumshormon nicht nachweisbar, aber sehr erfolgsversprechend ist. Da ging damals dann die Empfehlung um, die anabolen Steroide, die nachweisbar sind, rechtzeitig abzusetzen und stattdessen Wachstumshormon zu nehmen. An dieser Situation hatte sich auch vor Sydney nichts geändert. Außer dass wir Anfang 1999 gesagt haben: Wir können Wachstumshormon doch nachweisen. Somit stand das IOC vor der Entscheidung, ob es will, dass sich das Szenario von Atlanta in Sydney wiederholt, oder ob es daran etwas ändern möchte.

Es wollte nicht, was die Ahnung nährt, dass die Herren der Ringe nicht uneingeschränkt an einem dopingfreien Sport interessiert sind.

Ich kann dem IOC im Umkehrschluss aber nicht unterstellen, an einem gedopten Sport interessiert zu sein. Dass es intern Interessenkonflikte geben mag, ist allerdings wohl nicht ganz unbegründete Spekulation.

Welche gesicherten Hinweise auf Doping mit hGH gibt es?

Bisher nur in der Form, dass Zöllner Ampullen dieses Stoffs im Gepäck von Sportlern oder Trainern gefunden haben.

Wie legitim ist es, bei Sportlern mit überdimensional ausgeprägten Nasen, Kinnen, Füßen und Ohren auf die Einnahme von hGH zu schließen?

Das ist wahrscheinlich nicht legitim, weil es eine unberechtigte Verdächtigung sein kann. Die Häufigkeit, mit der Athleten zum Beispiel Zahnspangen tragen, ist zwar verwunderlich, aber man kann andererseits nicht sagen: Du hast eine Zahnspange, du dopst mit Wachstumshormon.

Dass ein 17-Jähriger mit Schuhgröße 51 rumläuft, ist dennoch nicht normal.

Schuhgröße 53, Thorpedo hatte 53.

Darüber muss man sich keine Gedanken machen?

Es ist sicherlich berechtigt, sich darüber Gedanken zu machen. Ich glaube aber, dass es unberechtigt ist, daraus eine Anschuldigung abzuleiten, eben weil Sie es nicht nachweisen können. Von einigen amerikanischen Basketball-Profis weiß man zum Beispiel, dass sie schon im Jugendalter eine krankhafte Überproduktion von Wachstumshormon in der eigenen Hirnanhangsdrüse hatten und dass sie sich letztlich aufgrund dieser Krankheit als besonders geeignet für Basketball entpuppt haben. Dass Ian Thorpe als 17-Jähriger so riesengroße Füße hat, ist natürlich verwunderlich, daraus abzuleiten, dass er Wachstumshormon zugefügt bekommen hat, halte ich aber für gewagt.

Wie frustrierend ist es, wenn eine Nachweismethode, die man selbst entwickelt hat, nicht zum Einsatz kommt und Sportlern dadurch der Betrug ermöglicht wird?

Gar nicht. Ich bin ja nicht angetreten, um als Dopingforscher groß zu werden, sondern wir haben während unserer medizinischen Arbeit mit hGH mehr oder weniger zufällig Methoden gefunden, mit denen man den Missbrauch nachweisen kann. Wenn die verantwortlichen Gremien möchten, dass diese Methoden bis zur Gerichtsfestigkeit weiterentwickelt werden, dann sind wir gerne bereit, weiterhin unser Hirnschmalz zu Verfügung zu stellen. Wenn wir von den zuständigen Stellen entsprechend finanziell gefördert werden.

Wie wirkt hGH, als Dopingmittel eingenommen?

Es fördert den Aufbau von Eiweiß und damit überwiegend von Muskeln – und es fördert das Abschmelzen von Fett, was primär dazu führt, dass Energiebausteine bereit gestellt werden. Deswegen ist es auch bei Sportlern so begehrt: Weil Energiebausteine während des Trainings zur Verfügung gestellt werden und die Trainingsbemühungen so zu einem effektiveren Aufbau von Muskeln führen.

Auf diese Weise kann man seine Mukis in zehn Wochen um 40 Prozent aufblasen?

An Patienten, denen Wachstumshormon fehlt, sehen wir das nicht; da beobachtet man im ersten Halbjahr einen Muskelzuwachs von bis zu zehn Prozent. Allerdings gehe ich davon aus, dass Sportler höhere Konzentrationen nehmen, als wir sie Patienten geben. Einen Muskelzuwachs von 40 Prozent halte ich dennoch für ziemlich hoch. Möglicherweise sind da noch andere Stoffe mit im Spiel.

Das IOC will Ihnen nun knapp eine Millionen Mark zu Verfügung stellen, um Ihren Test zur Serienreife zu bringen. Reicht das aus?

Um einen gerichtsfesten Nachweis zu erstellen, wäre es gut, ein von unserem zuerst veröffentlichten Verfahren strategisch und technisch weitgehend unabhängiges Bestätigungsverfahren zu entwickeln. Wir halten es deshalb für sinnvoll, noch mal einen Schritt zurückzugehen und Grundlagenforschung zu betreiben, mit dem Ziel, die verschiedenen Unterformen von Wachstumshormon besser abbilden zu können. Um ein Verfahren ausarbeiten zu können, von dem wir hoffen, dass es ein brauchbarer Bestätigungstest werden kann, würden die 460.000 Dollar ausreichen. Nach zwei Jahren könnten wir dann sagen: Die Methode ist da – oder es war ein Schuss in den Ofen.

Sind die betrugswilligen Sportler bis dahin nicht längst schon wieder weiter?

Wenn unsere Bemühungen dazu führen, dass Sportler nicht mehr mit Wachstumshormon dopen, dann ist schon sehr viel erreicht. Dass die Sportler dann etwas anderes nehmen, möchte ich nicht ausschließen, heißt in der Konsequenz aber nicht, dass man gar nicht erst anzufangen braucht, es zu bekämpfen. Außerdem glaube ich nicht, dass etwas Ähnliches wie Wachstumshormon eingesetzt werden kann, ohne dass wir es dann nachweisen können.

Es gibt jetzt schon Stimmen, die behaupten, das Betrügen mit Hilfe von Wachstumshormon sei, auch wegen der gefährlichen Nebenwirkungen, schon wieder auf dem absteigenden Ast.

Ich mache mir keinerlei Gedanken darüber, was gerade in ist zum Dopen. Ich weiß, dass Wachstumshormon-Doping ein Riesenproblem ist, und ich denke, dass es das auch noch eine ganze Weile bleiben wird. Was die Nebenwirkungen angeht, so stimmt zwar, dass der Überschuss von Wachstumshormon über längere Zeit außer der Gesichts und Körper entstellenden Wirkung zu einer erhöhten Todesrate aufgrund von Herzversagen und zur häufigeren Bildung von vor allen Dingen Dickdarmkrebs führt. Aber ich fürchte, dass das die Sportler in keinster Weise abschreckt.

Entsprechend werden schon Horrorszenarien von genmanipulierten Sportlern entworfen. Die „Zeit“ schwadronierte bereits, es müssten in Zukunft separate „Spiele für Mutanten“ eingeführt werden.

Ich halte dieses Szenario für etwas absurd. Weil ich nicht glaube, dass sich der Sportler der Zukunft wesentlich unterscheiden wird von dem, den wir jetzt schon haben. Auch heute sind Spitzensportler ja nicht Durchschnittsbürger, sondern aufgrund ihrer Eignung für eine bestimmte Sportart selektioniert. Hinzu kommt, dass durch die Mutanten-These Genmanipulation oder Gentherapie im Sport zur Leistungssteigerung impliziert wird. Und da sind wir – aus ärztlicher Sicht leider – von einem erfolgreichen Einsatz beim Menschen noch sehr, sehr viele Jahre entfernt.

Obwohl Wissenschaftler angeblich gerade das menschliche Genom entschlüsselt haben?

Es wird seit mehr als 15 Jahren versucht, bei Krankheiten, die nur dadurch heilbar sein werden, Gentherapie einzusetzen. Und es gibt bisher dennoch kein Verfahren, das erfolgreich ist. Der Versuch, gewünschte Gene mit Viren in den Menschen hineinzubringen, führte bisher stets zu Abwehrreaktionen gegen die Virushülle. Wir Mediziner wünschen uns inständig, dass dieses große Problem endlich gelöst wird – zum Wohle betroffener Patienten. Dass dann Menschen auch auf die Idee kommen werden, die Erkenntnisse missbräuchlich im Sport einzusetzen, liegt auf der Hand.

Spätestens dann müssten Dopingforscher wie Sie wohl endgültig die Waffen strecken.

Nein, ganz sicher nicht. Weil es dann wiederum nachweisbar wäre, dass Gentherapie vorgenommen wurde. Zum Beispiel in dem man die Transferpartikel, also die Fähren, mit denen die Gene in den Organismus eingeschleust wurden, nachweist. Letztlich könnte das zum Teil mit den Methoden geschehen, die wir heute erarbeiten.