„Lebenslänglich“ für einen Totgeglaubten

Alois Brunner ist in Frankreich in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Lebt er überhaupt noch?

PARIS afp/rtr/ap ■ Der österreichische Nazi-Verbrecher Alois Brunner ist gestern in Frankreich in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der Schuldspruch des Pariser Strafgerichts gegen den 88-Jährigen lautet auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Brunner hatte laut Anklage am 31. Juli 1944 insgesamt 345 jüdische Kinder von Drancy bei Paris aus in Nazi-Vernichtungslager geschickt. 284 Kinder wurden umgebracht. Angestrengt wurde die Klage von dem bekannten Anwalt Serge Klarsfeld. Es ist unklar, ob Brunner noch lebt. In den letzten Jahren gab es keine öffentlichen Äußerungen Brunners und keine Belege für seinen Aufenthalt mehr. Er wurde in den Fünfzigerjahren in Frankreich zweimal in Abwesenheit zum Tode verurteilt und tauchte dann in Syrien unter. Brunner war im Zweiten Weltkrieg im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) die rechte Hand von Adolf Eichmann.

Während seines Plädoyers las Staatsanwalt Philippe Bilger die Namen der 345 Opfer von Drancy aus und äußerte die Überzeugung, dass Brunner noch am Leben sei. „Ist es so schwierig, sich die Anwesenheit von Alois Brunner vorzustellen? Für mich ist er da, und ich habe nicht das Gefühl, gegen einen Schatten zu klagen“, sagte er mit Blick auf die leere Anklagebank und versuchte, sich Brunner im Gerichtssaal vorzustellen: „Die Finger von einem Attentat abgerissen, das Gesicht von einem anderen Attentat verbrannt, hat er diese durchdringenden, arroganten, kalten Augen, die ein Zeuge beschrieben hat. Vielleicht sagt er in diesem Moment, dass er Paris ebenso wie Wien von Juden ‚säubern‘ wollte.“ Aus den 50 Aktenbänden, die für den Prozess gegen Brunner zusammengetragen wurden, sprächen „Tod und Verzweiflung“.

Serge Klarsfeld, Vertreter der Nebenklägervereinigung „Söhne und Töchter der deportierten Juden Frankreichs“ (FFDJF), ging direkt auf Brunners Abwesenheit ein. „Wir haben die Gelassenheit jener, die alles getan haben, um Brunner vor Gericht zu bringen, und die Bitterkeit jener, die nicht hinnehmen, dass sein Platz in diesem Raum leer ist“, sagte er. Vor Prozessbeginn hatte Klarsfeld erklärt, Brunner habe sich absichtlich in einem „antijüdischen Staat“ versteckt. „Syrien teilt zumindest Sympathie für seine Verbrechen.“

Mehrere Dutzend Mitglieder der FFDJF verfolgten den Prozess. Vorher demonstrierten sie vor dem Gerichtsgebäude. „Schande auf Assad, der den Verbrecher Brunner deckt“, stand auf einem Transparent.