Kontrolleure dringend gesucht

Die EU-Kommission hat strenge Richtlinien für Tiertransporte erlassen. Doch kaum ein Mitgliedsstaat ist bereit, ihre Einhaltung auch zu überwachen

von DANIELA WEINGÄRTNER

Fast hätten wir Dolly vergessen. Immerhin ist das berühmte schottische Tier ein britisches Schaf – wenn auch ein geklontes. Sein Schöpfer, der Wissenschaftler Ian Wilmut, hat es unter verschärfte Quarantäne gestellt, denn Klonen ist kein wirksamer Schutz gegen Maul- und Klauenseuche. Diese Nachricht dürfte Bauernpräsident Bernd Sonnleitner interessieren. Zu Beginn der BSE-Krise machte er den Vorschlag, verstärkt in die Klon-Forschung für Rinder zu investieren. Inzwischen setzt er – zumindest verbal – mehr auf eine „Umkehr“ in der Landwirtschaft.

Tatsächlich hat die Seuchenplage in Europas Bauernhöfen dazu geführt, dass nun grundsätzlich über die Kehrseite der Agroindustrie diskutiert wird. Die neue deutsche Verbraucherministerin Renate Künast will nachhaltigere Landwirtschaft, artgerechte Tierhaltung, und mehr regionale Vermarktung.

Der britische Premierminister Tony Blair entdeckte am Donnerstagabend sein Herz für Bioprodukte. Bei einer Diskussion mit Bauern in Gloucestershire sagte er: „Die Fragen, die wir uns stellen müssen, haben mit der Art von landwirtschaftlicher Produktion zu tun, die wir unterstützen, ob wir intensive Landwirtschaft wollen und wie wir die eigenen Produkte vermarkten. Ich kenne die Antwort auf all diese Fragen nicht.“

Mit dieser Ratlosigkeit steht der britische Premier nicht allein. Antworten zirkulieren dennoch im Dutzend billiger – sie kommen aber nicht von Tiermedizinern und Seuchenexperten, sondern von denen, die schon lange aus ethischen und ökologischen Gründen gegen landwirtschaftliche Massenproduktion kämpfen.

Dass diese Vermischung von Argumenten und Motiven der Sache nicht dient, betont auch Renate Künast. Sie hat erst kürzlich darauf hingewiesen, dass seit den Sechzigerjahren deshalb mehr Tiere in Ställen gehalten werden, weil sich Krankheiten wie die Maul- und Klauenseuche dort nicht so leicht verbreiten. Was stimmt. Dennoch gibt es gute Gründe, für Weidehaltung zu plädieren. Die derzeitige Maul- und Klauenepidemie allerdings ist eher ein Argument dagegen.

Auch die nun wieder angeheizte Debatte um Tiertransporte wird ähnlich irrational geführt. „Die europaweiten Tiertransporte bedeuten, dass sich Krankheiten wie Schweinepest oder Maul- und Klauenseuche explosionsartig über ganze Kontinente ausbreiten“, schrieb der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Wolfgang Apel, gestern im Express. Diese Behauptung lässt sich leicht widerlegen. Obwohl jedes Jahr 250 Millionen Nutztiere durch Europa gekarrt werden, führten regionale Maul- und Klauenepidemien in den vergangenen Jahren nicht dazu, dass sich die Seuche verbreitete.

Stattdessen kommt es im griechisch-türkischen Grenzgebiet fast jedes Jahr zu Epidemien. Vergangenen Sommer mussten in der nördlichen Evros-Region 7.000 Nutztiere getötet werden. Bauern, die auf der Suche nach verirrtem Vieh in türkisches Gebiet wandern, bringen den Virus von dort mit – ein Szenario, das traditioneller und regionaler nicht sein könnte. Vor zwei Jahren haben Griechenland und die Türkei ein gemeinsames Programm zur Bekämpfung der Seuche gestartet, das zu 70 Prozent von der EU finanziert wird.

Die derzeitige kritische Lage in Großbritannien wird jedoch tatsächlich durch industrialisierte Vermarktungsformen weiter verschärft. Nicht nur für die Sunday Mail sitzt der Sündenbock in Brüssel: Viele kleine britische Schlachthöfe hätten dem Preisdruck im Binnenmarkt nicht standhalten können. Die Statistik stützt diese These: In den vergangenen 15 Jahren sank die Zahl der Schlachthöfe in Großbritannien von 1.000 auf weniger als 400. Das Schlachthaus in Essex, wo das erste infizierte Tier entdeckt wurde, schlachtet Tiere aus allen Regionen – von der Isle of Wight, aus Schottland und Nordirland.

Die britischen Hygienevorschriften, die eine Ausbreitung von Epidemien begünstigen, lassen sich nicht der EU in die Schuhe schieben – sie sind hausgemacht. Denn lebende Tiere werden nicht, wie in anderen europäischen Ländern üblich, auf dem Bauernhof untersucht, sondern erst im Schlachthof. Das erhöht das Risiko erheblich. Auch die Einfuhrkontrollen ins Königreich seien zu lax, wie der Telegraph kritisiert. So sei ein Koffer aus Westafrika, der gekochte Affen enthalten habe, vergangenen Monat nur zufällig auf dem Flughafen Heathrow entdeckt worden.

Dass eine Rückkehr zur regionalen Vermarktung keine Garantie gegen weitere Seuchen ist, weiß natürlich auch der Chef des Deutschen Tierschutzbundes. In seinem Express-Artikel schreibt Wolfgang Apel: „Die qualvollen Transporte nur unter dem Aspekt der Seuchengefahr zu diskutieren, wäre aber zu kurz gesprungen. Immer noch werden 250 Millionen Tiere jährlich über Europas Grenzen gekarrt. Blutende Wunden, gebrochene Glieder, Hunger und Durst sind die Folgen.“

Während die EU-Kommission im gemeinsamen Binnenmarkt keine Transportbeschränkungen für Nutztiere erlassen kann und seuchenbedingte Transportverbote zeitlich begrenzt sind, bietet der Tierschutzaspekt sehr wohl Möglichkeiten, EU-einheitliche Standards vorzugeben. Seit 1991 gibt es eine entsprechende Richtlinie, die 1995 noch einmal verschärft wurde. Nur Tiere in guter gesundheitlicher Verfassung dürfen auf die Reise geschickt werden. Die Fahrzeuge müssen angemessen ausgestattet und gut belüftet sein und dürfen nicht überladen werden. Nach spätestens acht Stunden ist eine Pause fällig. Ein Reiseplan muss vor Antritt der Fahrt vom zuständigen Tierarzt genehmigt werden.

Mit der Umsetzung allerdings ließen sich die Mitgliedsstaaten Zeit. Und in vielen Ländern fehlt bis heute der Wille zu kontrollieren, ob die Vorschriften auch eingehalten werden. „Deprimierend“ nannte ein Kommissionssprecher im Dezember die Ergebnisse eines Berichts, in dem Informationen von Lebensmittel- und Veterinärbehörden, von Inspektionen der Mitgliedsländer und Nichtregierungsorganisationen über Tiertransporte zusammengetragen sind.

Gegen die Vorschrift wird in Deutschland, Holland, Frankreich und Spanien regelmäßig verstoßen. Die Zustände auf den Viehmärkten sind in Belgien besonders brutal – die EU-Kommission hat deshalb vor dem Europäischen Gerichtshof ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

Die meisten Verstöße allerdings lassen sich keinem Mitgliedsstaat eindeutig zuordnen. Die Transporter fahren fast immer durch mehrere Mitgliedsländer, Informationen über mögliche Vorstrafen des Unternehmers werden über die Grenzen hinweg nicht ausgetauscht. Führt der Fahrer seine Tiere aus einem Drittland außerhalb der EU ein, fühlt sich gar keine Behörde mehr zuständig.

Im Frühjahr plant die EU-Kommission eine Novelle der Richtlinie über Tiertransporte. Die quälenden Reisen quer durch Europa werden damit nicht aufhören. Aber sie werden durch strengere Auflagen teurer. Das könnte regionale Schlachthöfe wieder ins Geschäft bringen. Brüssel tritt damit ausnahmsweise nicht als Anwalt des Binnenmarktes auf, sondern fördert regionale Strukturen.