Die Wahrheit im Schuh

■ Zur Eröffnung des Bremer Tanzfestivals zeigt die Company EN-KNAP viele tänzerische Einfälle – und mittendrinn einen Mann, der geht und geht und...

Da staunten die ZuschauerInnen: In Slowenien gibt es einen Staatsfeiertag für Kultur. Und es war – weit entfernt von Floskeln – in der Rede des slowenischen Kulturministers echter Stolz auf das Kulturverständnis seines Landes herauszuhören. Vielleicht kann sich die bremische Kulturverwaltung von einem solchen Verständnis ein bisschen abgucken: Fast hätte es ja das bundesweit renommierte Festival Tanz Bremen 2001 nicht gegeben. Denn die Bremen Marketing GmbH hatte im September vergangenen Jahres die weitere Förderung aus formalen Gründen abgelehnt: Festivals, die zu Institutionen werden, gehören in die Verantwortung des Kultursenators, und der wollte oder konnte erstmal nicht.

Die Sparkasse sprang ein, was Rettung in letzter Not war: Mit einem allerdings um die Hälfte reduzierten Etat von insgesamt DM 250 000 mussten die Festivalleiterinnen Birgit Freitag und Susanne Schlicher zwar auf den geplanten Themenschwerpunkt Ostasien verzichten, aber das Programm dieser Woche im Schauspielhaus kann sich sehen lassen. „Doch einen solchen Kraftakt“, so Herbert Wieneke von der Sparkasse, „darf es im nächsten Jahr nicht mehr geben.“

Eröffnet hat jetzt Tanz Bremen 2001 die 1993 gegründete slowenische Truppe EN-KNAP Company, die 1998 hier mit großem Erfolg „Codes of Cobra“ vorzeigte. Die eigenständige und eigenwillige Körpersprache des Choreographen Itzok Kovac, der selber auch mittanzt, bescherte uns diesmal ein wunderschönes philosophisches und poetisches Werk: „The Pefect Step?“, das kurz zuvor in Ljubljana uraufgeführt wurde. Es beginnt mit einem Filmbild. Da geht einer und geht und geht und geht. Er hat eine Theorie des Gehens, mit der er seine Umwelt missioniert. Und er widmet sein Leben der Kunst und der Lehre des Gehens, um die Wahrheit zu finden. Es gibt sieben skurrile Regeln für das Gehen, zum Beispiel die, dass man nicht vergessen soll, dass man geht. Oder die: Mache deine Schritte perfekt. Oder die: Achte auf deine Schuhe.

Aus der Leinwand, auf der diese Regeln projiziert waren, treten dann die wirklichen Tänzer heraus, drei Frauen und zwei Männer. Und es entfaltet sich ein fantasievolles Ineinander aller Ebenen: Filmprojektionen, wirklicher Tanz, Musik (großartig: Uros Rojko) und Texten. Doch nicht genug damit: Der blinde Geher durchzieht das scheinbare Chaos mit der Unerbittlichkeit und Schönheit seines Gehens: Dazu singt er.

Zu bewundern war durchgehend die dynamische Präzision der Tänzer, ich habe mich öfter mal gefragt, mit welcher Technik sie eine derartige Perfektion in parallelen Bewegungen erreichen können.

Es war auch zu bewundern, wie die individuellen Fähigkeiten in unterschiedlichen Körpersprachen hoch virtuos eingesetzt wurden. Vieles kam mit feiner Ironie daher, vieles mit bedrückendem Ernst, so wenn die fünf sich Plastiktüten über den Kopf ziehen und sich wirklich an den Rand der Erstickungsgefahr bringen. Das reichhaltige Ideenarsenal über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, das Kovac hier aufmachte und mit dem blinden Geher kontrastierte, war spannend und kurzweilig. Begeisterter Beifall im ausverkauften Schauspielhaus, aber das ist bei diesem Anlass ganz unvermeidlich. Ute Schalz-Laurenze