Realismus als Miesmacherei?

■ Ist das Bremer Wirtschaftswachstum Zeichen der Bundes-Konjunktur oder gibt es große Erfolge durch das Sanierungsprogramm? Eine Kontroverse

Bremens Finanzsenator sieht Anzeichen dafür, dass die Sanierungspolitik des Bremer Senats sich in Wirtschaftswachstum und dann auch in steigenden Steuereinnahmen und mehr Arbeitsplätzen niederschlägt. Diese Schlussfolgerung wird unter Experten heftig debattiert.

Mehr „Schönfärberei“ als Realismus warf zum Beispiel die Arbeitnehmerkammer dem Bremer Finanzsenator nach seinen letzten Erfolgsmeldungen vor. „Miesmacherei“ betreibe die Interessenvertretung der Arbeitnehmer, konterte Hartmut Perschau in einer Debatte der Bremischen Bürgerschaft. Zu der Kritik der Arbeitnehmerkammer an seiner Zahleninterpretation fiele ihm nichts mehr ein.

Perschau hatte sich auf Zahlen des Statistischen Landesamtes (StaLa) bezogen, das in einer statistischen „Fortschreibung“ davon ausgeht, die Zahl der Erwerbstätigen sei von 1999 auf 2000 um 8.000 gestiegen. Dies sei ein „echter“ Zuwachs, versicherte das StaLa noch einmal nach der Kontroverse im Parlament, und es sei auch korrekt, das Wirtschaftswachstum Bremens mit dem Durchschnitt aller Bundesländer (und nicht nur mit den „westlichen“ Ländern) zu vergleichen. „Danke für die Klarstellung“, kam postwendend das Echo im Weser Report, „zum Glück gibt es Menschen, die diesen Miesmachern nicht auf den Leim gehen“. Das Statistische Landesamt habe „präzise“ festgesellt, dass es sich um eine „echte“ Steigerung der Arbeitsplätze handele.

Horst Lange, der Experte des Statistischen Landesamtes, ist selbst allerdings weit davon entfernt, seine Zahlen als „präzise“ zu bezeichnen. Was die Statistischen Landesämter bundesweit gemacht hätten, sei eine „Fortschreibung“ aus verschiedenen Datenquellen. Während die Bundesanstalt für Arbeit in ihrer internen Zahlentabelle für Bremen einen Anstieg der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um knapp 4.000 ausweist, geht Lange davon aus, dass er „solidere Datenquellen“ für die verschiedenen Beschäftigungsbereiche ausgewertet hat. Die „Originärrechnung“ der Erwerbstätigen-Zahlen, betont der Landesamts-Experte, erfolge aber erst im Herbst diesen Jahres.

Die Arbeitnehmerkammer lässt sich durch Perschaus Vorwurf der „Miesmacherei“ nicht beirren in ihrer Forderung, „Realismus statt Schönfärberei“ walten zu lassen. Positive Wirtschaftsdaten seien immer „ausgesprochen erfreulich“, sagt Kammer-Hauptgeschäftsführer Heinz Möller, allerdings lägen die Bremer Zahlen im Bundestrend, und ein besonderer Effekt der bremischen Sanierungs-Investitionen sei nicht ablesbar.

Was die Erwerbstätigenzahlen angeht, hat die Arbeitnehmerkammer besondere Zweifel. Man müsse sich auch die Wachstumsbereiche genauer angucken, sagt der Kammer-Geschäftsführer. Das Wachstum hat vor allem im exportorientierten verarbeitenden Gewerbe stattgefunden, wo ausweislich der Statistik keine Arbeitsplätze geschaffen wurden. Der niedrige Euro-Kurs beflügelt den Export. Möller: „Die Bremer Wirtschaft hat von den Wechselkursen stärker profitiert als von Sanierungserfolgen.“

Und er verweist, was die statistische Steigerung der Erwerbstätigenzahlen um zwei Prozent angeht, auf die Analyse des „Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage“. Der hatte mit Blick auf die in allen Bundesländern im Jahre 2000 festzustellende Steigerung der Erwerbstätigenzahlen formuliert: „In diesem Jahr ist die Beschäftigung deutlich angestiegen, aber diese Entwicklung reflektiert zu einem großen Teil einen statistischen Vorgang als Folge der Revision der Erwerbstätigenstatistik mit der nunmehr besseren Erfassung der ausschließlich geringfügig Beschäftigten; diese Personen waren auch vorher beschäftigt, in welchem Umfang jedoch, das wurde unterschiedlich eingeschätzt. In dem Maße, in dem die Zunahme der Beschäftigung eine verbesserte statistische Erfassung widerspiegelt, kann sie nicht als wirtschaftspolitischer Erfolg verbucht werden.“ (Jahresgutachten 2000/01, Seite 174)

Eine „verbesserte statistische Erfassung“ hatte also die Zahl der geringfügig Beschäftigten von zwei auf vier Millionen bundesweit anspringen lassen. Dieses Phänomen ist den Experten in Perschaus Finanzressort gut bekannt, offenbar besser als bisweilen dem Chef des Hauses selbst: Zur Anzahl der Erwerbstätigen in der Stadt Bremen, so steht es in einer am Dienstag dem Senat vorliegenden Beschlussvorlage, könnten „aufgrund der statistischen Neuordnung (Einbeziehung der 630 DM-Beschäftigungsverhältnisse) keine Angaben“ gemacht werden.

Für die Kammer gibt es auch andere Indizien dafür, dass es sich bei der Zahl 8.000 stark um einen „statistischen“ Effekt handelt: Die Kammerbeiträge, die direkt vom Brutto-Lohn abgezogen und an die Kammern überwiesen werden, sind im Jahre 2000 weniger angestiegen als die durchschnittliche Lohnerhöhung. Das bestätigt für die Kammer die Auffassung der fünf „Weisen“, dass es sich um die Erfassung der geringfügig Beschäftigten in der Statistik handelt und weniger um wirklich zusätzliche Arbeitsplätze. Auch der Vergleich mit Hamburg zeigt, dass Bremens Wachstums-Kennziffern nicht über dem Trend der westdeutschen Konjunktur liegen: Das Wirtschaftswachstum lag mit 2,9 Prozent etwas unter dem bremischen, die Zahl der statistisch erfassten Erwerbstätigen stieg um 2,1 Prozent (Bremen: zwei Prozent).

„Was auch immer die Originärrechnung im Herbst ergeben wird – 8.000 neue Arbeitsplätze als Erfolg des Sanierungsprogramms wird sie sicher nicht ergeben“, sagt Kammergeschäftsführer Heinz Möller. „Aber wenn man das in Bremen sagt, wird man in die Miesmacher-Ecke gestellt.“

K.W.