Von Grün bis Goethe

Musik, die nur von einer Band aus Berlin stammen kann und das Gegenmodell zum konventionellen Jazz darstellt: Die drei Herren des Roten Bereichs pflegen bevorzugt ein Image als „seltsames Trio mit seltsamer Musik“ und sind stolz auf ihre Verweigerung von musikalischen Gefälligkeiten. Ein Porträt

von MAXI SICKERT

Grün leuchtet der Salat auf den Tellern von Frank Möbus und John Schröder. Rucola, die Neunzigerjahre-Variante von Kopfsalat. Noch eine Stunde bis zum Konzert. Der Kaffee von Rudi Mahall dagegen glänzt als schwere, schwarze Flüssigkeit im Neonlicht über der imitierten Felssteinwand aus Plastik. Mahall hat schon gegessen.

„Daheim“, wie er sagt, denn Rudi Mahall ist Franke. Aus Nürnberg, wie auch Bandkollege und Freund Frank Möbus. „Franken Global“ heißt ein Stück auf dem neuen Rote-Bereich-Album „Love Me Tender“. Es vermittelt eine düstere Leere, in der wenig geschieht, aber auch die Freude darüber, entkommen zu sein – nach Berlin-Mitte, Marzahn und Neukölln. John Schröder bricht diese Nürnberger Tradition mit seiner Herkunft aus Frankfurt am Main. Aber auch er wollte die empfundene Festgefahrenheit hinter sich lassen und ging in eine Stadt, die ihm Raum lässt und die Möglichkeit, auf Gleichgesinnte zu treffen.

Sie sitzen am Tisch und pflegen ihre Codes wie geheime Zeichen. Die Handbewegungen, die abgehackten und selten vollständigen Sätze. Sie kultivieren sich als „seltsames Trio mit seltsamer Musik“ (Möbus) und sind stolz auf ihre Unangepasstheit und Gefälligkeitsverweigerung. Frank Möbus mit seinem Markenzeichen, dem hochgeklappten Hemdkragen. Rudi Mahall mit wild wachsenden Koteletten über üstra-grünem Hemd, die Farbe des Expo-2000-Designs der neuen Hannover-Straßenbahn, wie er weiß. Und dann John Schröder, der in seiner Aufmachung auch als Bankangestellter nach Feierabend durchgehen könnte. Mitte dreißig sind sie. Nach der Bandgründung vor neun Jahren avancierten sie schnell als Gegenmodell zur Jazzkonvention zur lang ersehnten Vorzeigeavantgarde.

Die Bühne ist nur spärlich beleuchtet. Aus der gemeinsamen Improvisation schälen sich die Soli der E-Gitarre von Möbus, über die sich die flackernden Melodiefragmente von Mahalls Bassklarinette legen. Unterwandert und dann wieder ergänzt von Schröders minimalistischen Rhythmusspuren, die so lange mit zwei hölzernen Schlagstöcken auskommen, bis zur Ballade des „Short romantic schoolgirl song“ dann doch die Besen hervorgeholt werden. Dabei nehmen die Augen auf den zu wendenden Notenblättern der gewollten Ironie der Titelgebung ihre Schärfe und stehen für das langsame Einholen der zur Schau gestellten Ernstlosigkeit.

Denn nach drei CDs in acht Jahren auf dem Nürnberger Lokallabel „Jazz4ever“, die wegen der kleinen Auflage bereits vergriffen sind, kam jetzt für Frank Möbus und seine Band der Plattenvertrag mit dem Münchner Label ACT. Dies hat auch den diesjährigen Jazzfestleiter Nils Landgren unter Vertrag, der mit über 10.000 verkauften CDs Träger des „Jazz Award“ ist. Von solchen Zahlen war Der Rote Bereich bisher weit entfernt.

Möbus erzählt von den 230 Leuten, die am Vorabend zum Konzert gekommen sind. Und dass nach bisher etwa 30 Konzerten im Jahresdurchschnitt jetzt bis Jahresmitte schon 50 Konzerte festgemacht sind. Sie spüren den Aufwind und sie sind bereit, sich den Regeln am Markt zu fügen. Sich „zu verkaufen“, über sich zu sprechen. Auch wenn sie sich einig sind, dass ihre Musik nie konsensfähig sein wird oder für einen „Jazz Award“ reicht.

Begonnen hatte ihr Weg aus der Stadt heraus mit dem Goethe-Institut in Lissabon. Von da aus bekamen sie eine Tour in Afrika, über deren Erfolg sie selbst überrascht waren. Jetzt ist eine weitere „Goethe-Tour“ (Möbus) nach Kairo geplant. Der Rote Bereich als deutscher Kulturbotschafter? In den Liner Notes zur neuen Platte gibt Frank Möbus an, dass diese Musik nur von einer deutschen Band stammen könne, die in Berlin lebt.

Ist der Ort tatsächlich prägend für die Musik? Rudi Mahall hört auf, mit dem Kaffeelöffel herumzuspielen. Für ihn sei das überhaupt nicht wichtig. „Null.“ Im Gegenteil, Berlin gehe ihm auf die Nerven. „Immer dasselbe, immer dieselben blöden U-Bahnen.“ Als Möbus dazwischengeht: „Das ist doch Quatsch. Rudi!“, bleibt Mahall stur: Bei ihm sei das so. „Für mich“, sagt er, „ist Musik total abstrakt. Das hat nichts mit U-Bahn-Fahren zu tun, das hat keine außermusikalischen Bilder für mich. Nur Musik, Töne.“ Nur die Musiker würden ihn beeinflussen und so gesehen auch die Stadt. „Aber wenn die in Brunsbüttel wohnen würden, wäre das genau dasselbe.“ Das sieht John Schröder anders. Die Musiker, das Leben in dieser Stadt, die Bilder, die hier ablaufen: all das zusammen erzeuge einen bestimmten Sound. Auch wenn er nicht glaubt, es gebe so etwas Übergreifendes, wie „den“ Berliner Sound.

Bei Möbus ist es besonders die Gegend von Berlin-Mitte, die ihn nach innen öffnet. „Ich lebe gerne hier. Es ist vor allem das Nichtfertige, das mich fesselt. Sonst würde ich keine Musik schreiben.“ Auch John Schröder ist mittlerweile aus einem Marzahner Plattenbau nach Mitte gezogen. Manchmal vermisst er es. „Diese eigentümliche Art der Abgeschiedenheit, die man da draußen lebt.“

Das letzte Stück der Pizza Rucola ist hinter den Zähnen verschwunden; sie müssen los. Sie öffnen die Tür und die Dunkelheit der Februarnacht schlägt über ihren Köpfen zusammen.

Der Rote Bereich: „Love Me Tender“ (ACT)