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: Verband ließ Athleten ins offene Messer laufen

Keine Gegner für Baumann

Jan Fitschen traute seinen Ohren kaum, als er im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF den Ausführungen von Istvan Gyulai, Generalsekretär des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, lauschte. Ausdrücklich, so Gyulai, habe er den DLV vor den deutschen Hallenmeisterschaften darauf hingewiesen, dass die Athleten, die im selben Lauf wie der von der IAAF wegen Dopings gesperrte Dieter Baumann starten würden, mit einer Sperre zu rechnen hätten. Die wurde dann prompt verhängt, auch gegen Fitschen, der hinter Baumann den zweiten Rang über 3.000 Meter belegt und sich eigentlich für die WM in Lissabon qualifiziert hatte.

Die Sportler hatten nichts von der Konkretheit der IAAF-Drohung gewusst. Der DLV beschränkte sich darauf, alle rund 700 Teilnehmer der Meisterschaft pauschal auf eine mögliche Sperre hinzuweisen, diese gleichzeitig für „sittenwidrig“ (DLV-Präsident Helmut Digel) zu erklären und Rechtsschutz zuzusichern. Eine Massensperre hielt kaum jemand für denkbar. Hätte Fitschen jedoch den Wortlaut des IAAF-Schreibens gekannt, wäre er nicht angetreten, sagt er jetzt. Man darf davon ausgehen, dass in diesem Fall Dieter Baumann, der seinen Start juristisch durchgesetzt hatte, allein gelaufen wäre – ein Szenario, das der Verband offenbar vermeiden wollte.

Das Vorgehen des DLV darf zumindest als grob fahrlässig betrachtet werden, schließlich ist die Regel 53, auf der die Sperre für die Baumann-Mitläufer basiert, sehr alt und wurde auch im Fall des 400-m-Läufers Butch Reynolds angewendet, wenn auch nicht in letzter Konsequenz. Reynolds war 1990 in Monte Carlo des Dopings mit Nandrolon überführt und gesperrt worden. Ähnlich wie Baumann begann er einen langen Kampf mit allen juristischen Mitteln und setzte 1992 beim Supreme Court der USA das Startrecht bei den US-Trials, der Olympia-Qualifikation für Barcelona, durch. Erst im letzten Moment verzichtete die IAAF, erschreckt auch durch horrende Schadenersatzforderungen des Läufers, auf die angedrohten Suspendierungen aller Gegner von Reynolds, der schließlich nur Fünfter wurde und die Qualifikation zur Erleichterung der IAAF verpasste.

Genau wie der Fall Baumann warf auch der des Butch Reynolds die Frage auf, ob sich Weltverbände an die Beschlüsse nationaler Organisationen und Gerichte zu halten haben – oder umgekehrt. Im Prinzip herrscht angesichts zahlloser dubioser Freisprüche auf nationaler Ebene Einigkeit, dass nur eine übergeordnete internationale Instanz wirksame Dopingbekämpfung garantiert. Mit dem unabhängigen Lausanner Sportgerichtshof CAS existiert diese im Grunde auch. Zusätzlich kompliziert wird die Sache in der Leichtathletik dadurch, dass die IAAF den CAS bisher nicht anerkennt, sondern ihr umstrittenes Arbitration Panel als letzte Instanz pflegt. Eine Institution, die zum Beispiel die Sprinterin Merlene Ottey freisprach, weil man einen Rechenfehler des Dopinglabors nicht bemerkt hatte.

Das Positive an der Affäre der 3.000-m-Läufer ist, dass die Notwendigkeit einheitlichen Vorgehens allen Beteiligten noch einmal drastisch vor Augen geführt wird. DLV-Präsident Digel fordert seit längerem auf nationaler Ebene ein für Dopingfälle zuständiges Gremium, das aus Fachleuten und nicht aus Laien besteht, wie zum Beispiel der DLV-Rechtsausschuss. Dazu eine anerkannte internationale Instanz, die in Streitfällen das letzte Wort hat. Das könnte der CAS sein, von dem DLV-Leistungssportwart Rüdiger Nickel glaubt, dass seine Entscheidungen sowohl von den nationalen Verbänden als auch von den Gerichten akzeptiert würden. Die Anerkennung des CAS durch die IAAF scheint nach den neuesten Ereignissen nur noch eine Frage der Zeit.

Kleiner Schönheitsfehler: Genau dieser CAS war es, der in Sydney die Baumann-Sperre bestätigte, was keineswegs überall akzeptiert wird. Jan Fitschen nimmt seinen kämpferischen Kollegen ausdrücklich von Kritik aus, andere sind weniger nachsichtig. 800-m-Olympiasieger Nils Schumann bekräftigte seine Ansicht, Baumann handle egoistisch, und Thorsten Naumann, der Einzige, der Lunte roch und nicht über 3.000 Meter antrat, ist sicher, dass es so etwas wie in Dortmund künftig nicht mehr geben wird. „Ich glaube nicht, dass jetzt noch mal jemand gegen ihn läuft“, sagte er der Berliner Zeitung. Spätestens wenn es um die Qualifikation für die WM in Edmonton geht, wird den Athleten möglicherweise nichts anderes übrig bleiben. Nichts deutet im Moment darauf hin, dass Dieter Baumann darauf verzichten wird, auch dort sein Startrecht einzuklagen. MATTI LIESKE