Ein dreifaches Helau

Nach dem 1:0 gegen Hertha BSC lobt der Kölner Trainerjeck Ewald Lienen die ausgeprägte Quasseltaschenhaftigkeit seiner Spieler und erklärt sich selbst für „richtig ausgeflippt“

aus Köln BERND MÜLLENDER

In Köln hängt bekanntlich alles irgendwie mit Karneval zusammen. Auch wenn der kalendarisch gerade vorbei ist (also der Anlauf für die neue Session gerade erst begonnen hat). Und weil selbst Hertha-Fans das wissen, hatten sie etwas besonders Provozierendes mitgebracht: Ein Transparent fast so lang wie der Berliner Rosenmontagszug, das sie am Ende der Halbzeitpause entrollten: „Für jede Kölner Sau ein dreifaches Helau.“ Und alles in Hellblau.

Das war nachhaltig aufrüttelnd. Die FC-Fans, vom ereignisarmen Taktieren der ersten 45 Minuten paralysiert, erwachten umgehend und schmetterten die hübsche Vereinshymne: „Wir sind nur ein Karnevalsverein.“ Auch das Spiel beschloss die taktische Tarnkleidung abzulegen und nunmehr richtig begeisternd stattzufinden. Drei Minuten später hatte es sich sogar entschieden: Herthas Recke mit der Nummer 5, kostümiert als Kostas Konstantinidis, gab dabei den Prinzen. In Minute 46 sprang er elegant in eine Wosz-Flanke und köpfte den Ball gegen die Latte, dass den Kölnern vor Schreck das Kölsch schal wurde. Im Gegenzug sprang Konstantinidis im eigenen Strafraum nach einer Lottner-Flanke und köpfte den Ball nicht. Weil Carsten Cullmann ein bisschen schneller war und den Ball ins Berliner Tor verlängerte. 1:0 statt 0:1. „Da haben wir Riesenglück gehabt“, gab FC-Trainer Ewald Lienen zu.

Hertha-Kollege Jürgen Röber wusste mehr zu sagen, insbesondere zur Führungschance. Verzweifelt gestikulierend und verärgert erklärte er den Konstantinidis-Kopfball zur Bürokratensünde: „Ja, der Kostas geht zum Kopfball, weil er zum Kopfball gehen muss. Nur ein bisschen höher . . . etwas aggressiver . . . entschlossener . . .“ Und zuckte mit dem Oberkörper und ließ seine Hände vor und zurück schnellen, als wollte er Kamelle unters Volk werfen. „Nur ein bisschen energischer . . . Und am Gegentor war Kostas wieder beteiligt.“

Ja, es hätte „umgekehrt laufen können“ (Röber). Sicher hat „das richtige Glück gefehlt“ (Dariusz Wosz), und vielleicht war das Ergebnis wirklich „nicht ganz in Ordnung“ (Marko Rehmer): „Wir hätten auch als Sieger vom Platz gehen können.“ Hertha hatte Chancen, spielte in Halbzeit zwei verzweifelt nach vorne und hatte doch zwischen Minute 52 und 62 „bei den drei krassen Kontersituationen“ (Lienen) Glück, dass die Kölner nicht mehr so selbstverständlich zielsicher sind wie zum Ende der Hinserie.

Gescheitert ist Hertha vornehmlich an Kölner Leidenschaft, die jedes Aufflackern von Unordnung nahtlos ersetzte. Und auch am Gespräch, das der Rheinländer bekanntlich besonders gerne pflegt. „Unsere Abwehrspieler“, lobte Lienen seine Leute, „hatten immer eine gute Kommunikation miteinander.“ Das sei bemerkenswert, weil eigentlich „alle keine Quasseltaschen sind“, insbesondere Janosz Dziwior, der sicher „nie bei einem Literaturfestival auftreten wird“.

Aber Dziwior und Kollegen grätschten hingebungsvoll alle weg: Ob den mäßig gefährlichen Michael Preetz oder den fußpilzgesundeten, aber schwachen Alex Alves, „der manchmal gar nicht im Spiel war“ (Röber). Und so hatten die Berliner allen Grund zu jammern und zu rechnen. Bei einem Sieg und möglichen Erfolgen in den nachfolgenden zwei Heimspielen wäre man ganz oben gewesen in der Liga der geballten Unlust auf Tabellenführung. So blieb es das richtungsweisende Spiel für den FC, der den Nachmittag schreckgebeutelt hatte zusehen müssen, wie Rostock, Haching und Stuttgart triplegepunktet hatten und plötzlich „mit dem Rücken zur Wand“ (Lienen) stand. 33 Punkte sind jetzt ganz passabel.

Alles könnte gut werden für den Aufsteiger. Selbst Ewald Lienen, der Westfalenimport, hat sich zum vergleichsweise raderdollen Jecken entwickelt. Erst hatte er die schunkelnde Stadt mit dem neuen Begriff „Weiberdonnerstag“ beglückt (nachher halbherzig und unnötig dementiert), dann mit Gattin Rosi leibhaftig den Rosenmontagszug besucht. Die Stadionzeitung hat das dokumentiert: Verkleidet als Rosi und Ewald, lächelnd und winkend, auch wenn je eine Hand in die des Partners gekrallt ist, damit bloß keiner verloren gehe. Zum Existentialistenschwarz trug Lienen einen mehrfarbig karierten Schal. Dieser Halsschmuck, gab er nach dem „erleichternden Sieg“ am späten Samstagabend bestgelaunt zu, war wohl schon „ein bisschen ausgeflippt“. Nur noch gut elf Monate bis zum nächsten Weiberdonnerstag. Dann könnte Lienen, vermutlich in der Erstligastadt Köln, sogar das Wort jeck über die Lippen gehen.

1. FC Köln: Pröll - Sichone, Dziwior, Keller, Cullmann - Kreuz (87. Scherz), Lottner, Springer - Timm (90. Baranek), Kurth, Arweladse (83. Bulajic)Hertha BSC: Kiraly - Rehmer, Maas (62. Dardai), van Burik, Hartmann - Schmidt, Konstantinidis (62. Sverrisson), Tretschok (79. Daei) - Wosz - Alves, PreetzZuschauer: 34.500Tor: 1:0 Cullmann (48.)