Qualitätssiegel Gänsehaut

Beim „Countdown Grand Prix Eurovision 2001“ verzichtete die stimmsichere Siegerin Michelle auf komödiantischen Firlefanz. Der vorhergesagte Untergang der Unterhaltungsindustrie blieb aus

„Die Comedy-Nummern sind total durchgefallen, das war schon fast ein bisschen gemein.“ (Dieter Bohlen)

aus Hannover JAN FEDDERSEN

Es war ein Abend beginnender, unterbrochener und wieder aufgenommener – und zugleich einer der gescheiterten Karrieren: Guildo Horn beispielsweise, der kurz nach dem Grand Prix Eurovision 1998, seinem höchstpersönlichen „Kreuzzug der Liebe“, in die öffentliche Versenkung verschwand, war hinter den Kulissen für T-Online sehr gut gelaunt als Internetinterviewer aktiv. Aber im Gegensatz zu Udo Jürgens, der seit einer Woche den Untergang der deutschen Unterhaltungsbranche beschwört, wenn nicht sofort allen Zlatkos und Mosis Einhalt geboten werde, hat Guildo nur dies über die Zeit nach Horn gesagt: „Das habe ich damals nicht gewollt.“

Die Geister, die der „Meister“ aus Trier rief, sollten also wieder in den Giftschrank. Und so kam es auch: Nach der Sendung stand fest, dass Zlatko (und Moshammer) von einer Niederlagen heimgesucht wurde, die insbesondere einem Betreuungsimperium, dem TV-Konzern Endemol, noch sehr viele Rätsel aufgeben wird: ganze 3,7 Prozent der rund eine Million TED-Anrufer während des ersten Wahlgangs für Zlatko – das reichte nicht einmal für die Endrunde.

Moshammer erging es mit zweiprozentiger Zuschauerzustimmung noch schlechter. Lag es daran, dass Daisy doch nicht auf die Bühne durfte? Und wem schiebt Wolf Maahn die Schuld in die Schuhe? Für sein U 2-artiges Liedchen „Better Life“, das er sich nicht schämte, Mitleid heischend einem Kinderheim in Sarajevo zu widmen, landete auf dem letzten Platz – der tiefste Fall des Abends: Hatte Maahn doch während der Probenwoche verhältnismäßig unverhüllt mitgeteilt, den deutschen Grand Prix zu gewinnen, sei das Leichteste, was er sich vorstellen könne.

So stehen drei Trends fest: Nur, wie Maahn, „Uhuhu“ im Refrain zu singen, reicht nicht; für den Kölner hatte man im Saal nicht einmal Pfiffe übrig. Dieses Quasilob wurde Zlatko immerhin zuteil. Viele Menschen in der Preussag Arena buhten und johlten, als er sein „Einer für alle“ sang. Ja, richtig: sang. Denn so mies war es nicht, was vom ehemaligen Containerinsassen geboten wurde. Aber die Zeit für Figuren wie ihn scheint wohl vorbei: Ein einfaches „Ich darf und ich kann“ reicht nicht mehr. Vielleicht wird sein Scheitern irgendwann auch als beginnender Rutsch in die Bedeutungslosigkeit gleich der ganzen so genannten Spaßkultur gedeutet werden – eine öffentliche Trendwende. Denn nichts nutzte dem Schwaben Zlatko: Nicht die Unterstützung von Stefan Raab, nicht die von RTL, nicht die der Bild-Zeitung.

Zugleich dürfte sich herausstellen, dass der Unterschied zwischen Guildo Horn und Stefan Raab, Zlatko & Co. vor allem darin besteht, dass der bunte „Meister“ (am Freitag lief Horn in einem apfelshampoogrün gemusterten Kunststoffanzug herum) authentisch wirkte, Raab dagegen nur wie ein Zyniker – und Zlatko von dieser Spaßfraktion als letztes Opfer ins Rennen gebracht wurde.

Michelle, die spätere Siegerin, nahm Zlatko gegen seine Verheizer in Schutz: „Es war nicht sehr fair, dass er ausgebuht wurde. Er stand genauso da oben wie ich, mit dem gleichen Adrenalinspiegel.“ Und so sehr die Sängerin auch später geschildert wurde als streng kalkulierende Frau, die um die Wirkung ihres Körpers auf die Kameras der Nation weiß, so sehr meinte sie diese Geste ernst: „Ich möchte niemals irgendwo auftreten, wo man mich ablehnt. Solche Pfiffe sind ungerecht.“ Das fand auch Dieter Bohlen, der in die NDR-Sendung sein Modern Talking lancieren und darüber hinaus die von ihm gecastete Blümchen-Nachfolgerin vorstellen durfte: „Die Comedy-Nummern sind total durchgefallen, das war schon fast ein bisschen gemein.“

Michelle jedenfalls will jetzt Deutschland in Kopenhagen „so gut ich kann“ vertreten. Ihr Lied „Wer Liebe lebt“ ist gestrickt wie viele der Powerballaden, die von Frauen wie Celine Dion oder Mariah Carey gesungen werden. Sie sagte nach ihrem Sieg ganz von sich selbst hingerissen „Dankeschööööön“. Mit ihr hat die willensstärkste Teilnehmerin gewonnen: Kühl jeden ihrer Reize ausspielend, ohne devot zu wirken; als es darauf ankam, stimmsicher wie selten; zudem wissend, dass sie komödiantischen Firlefanz nicht nötig hat. Denn sie hat selbst genug containerartig organisierte Fanklubs im Land, gerade bei den Jüngeren, als dass sie von Zlatko und Mosi hätte eingeschüchtert sein müssen. In ihrem Gästebuch auf der eigenen Homepage schrieb ihr „Da Master“ gestern Nacht: „Du bist die geilste Tussi überhaupt.“

Nur knapp geschlagen geben mussten sich Joy Fleming, Brigitte Oelke und Lesley Bogaert, das Frauentrio mit der Soulnummer „Power Of Trust“, einem Song, der im Internet von Fans zusammengestellt wurde. 34,7 Prozent der Anrufer stimmten für ihn, nur Michelle war mit 36,6 Prozent besser. Dabei verdient allein der Fummel der Fleming (von Miranda Konstantinidou, der gleichen Schneiderin, die auch Guildo Horn anzieht), einen Sonder-Grand-Prix für die Kunst, eine so mächtig beleibte Frau zum Kunstwerk zu stylen: Joy Fleming in samtener Kapuzinertracht mit üppigem Vogelfederdekor. Da war kein Pfund zu viel, das wirkte einfach sehr appetitlich.

Neben der Siegerin ist vor allem der NDR beglückt und sieht den Komplimenten der anderen ARD-Sender froh entgegen: Bis zu 14 Millionen Menschen sahen zu; selbst RTLs „Wer wird Millionär?“ konnte man in der ersten Stunde „Count Down Grand Eurovision“ mit 9 Millionen Zuschauer standhalten. Und gerade bei der ach so relevanten Zielgruppe 14 bis 49 war die Sendung unschlagbar: Über 35 Prozent Marktanteil, so viel gibt’s sonst nur beim Fußball.

Und auch Joy Fleming zeigte sich bei der Party hernach glücklich: „Es war ein geiles Gefühl.“ Moshammer und Zlatko grollten dagegen ein wenig, die Plattenfirma EMI war’s zufrieden, Michelle gehört zu ihrem Stall. Den wichtigsten Segen aber sprach Guildo Horn: „Michelle ist toll. Da war Herz dahinter, das ist gute Musik.“