KROATISCHE NATIONALISTEN FORDERN EIGENEN TEILSTAAT IN BOSNIEN
: Ein Angriff auf die Zukunft

Kurz sah es so aus, als würde mit den demokratischen Umwälzungen in Kroatien und Serbien endlich etwas Ruhe auf dem Balkan einkehren – da wird die Öffentlichkeit schon wieder eines Besseren belehrt. In Südserbien und Makedonien entstehen neue Krisen. Die alten Brandherde schwelen munter weiter: In Kroatien, Serbien und auch in Bosnien und Herzegowina gehen die nationalistischen Kräfte wieder in die Offensive.

Seit dem Friedensabkommen von Dayton hat die internationale Gemeinschaft versucht, die demokratischen Kräfte im gesamten südosteuropäischen Raum langfristig zu stärken. Diese Politik ist nun einer Belastungsprobe unterzogen. Nationalistische Extremisten weisen nicht nur ideologisch die Schuld an den Kriegen in Exjugoslawien von sich und nennen das UN-Kriegsverbrechertribunal eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Sie sorgen sich auch um die materielle Basis ihrer politischen Macht. Und das mit gutem Grund. Mit der demokratischen Öffnung der Nachfolgestaaten des alten Jugoslawiens wird der nationalistischen Nomenklatura ökonomisch der Boden unter den Füßen weggezogen.

Kriegsgewinnler haben in Bosnien und Herzegowina immer schlechtere Karten. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat in den letzten Monaten eine grundsätzliche politische Neuorientierung stattgefunden. Im „bosniakisch-kroatische Föderation“ genannten Teil des Landes hat die Mehrheitsbevölkerung der Bosniaken/Muslime bei den Wahlen im letzten Herbst mehrheitlich die nichtnationalistischen und demokratischen Kräfte angekreuzt. Zwar haben die serbischen und kroatischen Nationalisten in den von ihnen kontrollierten Teilen Bosniens noch einmal die Mehrheit erreichen können – doch in den gemeinsamen Institutionen des gesamtbosnischen Staates konnten die nichtnationalistischen Parteien eine Mehrheit quer durch die drei großen Volksgruppen finden. Seitdem arbeiten demokratisch gesinnte Bosniaken, Serben und Kroaten in der Regierung des Gesamtstaates zusammen. Die kroatischen Nationalisten sind in der bosniakisch-kroatischen Föderation in die Minderheit geraten. Deshalb fordern sie jetzt einen eigenen Teilstaat.

Die Nationalpartei Kroatische Demokratische Union (HDZ) kritisiert, dass die Serben 1995 bei den Friedensverhandlungen mit der Republika Srpska einen eigenen Teilstaat erhalten haben – und die Kroaten nicht. Das Argument ist durchaus richtig – vorausgesetzt natürlich, man unterlegt lediglich nationalistische Kategorien. Tut man das nicht, dann ist die Teilung Bosniens in nationale „Entitäten“ dagegen generell kritikwürdig. Sie wurde zu Recht als Kniefall der internationalen Gemeinschaft vor den ethnischen Säuberern gegeißelt. Indem aber die internationalen Institutionen, vor allem das Büro des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft, seit 1996 für die Reintegration des Gesamtstaates arbeiten, ist eine andere Option entstanden: die Menschenrechte und die Rückkehr der im Krieg Vertriebenen. Das ist nur in multikulturellen und demokratischen Institutionen durchzusetzen. So liegt die Zukunft Bosniens nicht in einem dritten Teilstaat, sondern in der Überwindung der in Dayton geschaffenen Teilung.

Die Nationalisten aller Bevölkerungsgruppen lehnen mit ihrer Politik die Option Europa und die demokratische Öffnung der Gesellschaft ab. Die internationale Gemeinschaft dagegen muss im langfristigen Interesse aller Menschen in Bosnien und Herzegowina gerade darauf bestehen. Und nicht nur dort – sondern überall. ERICH RATHFELDER