Meditation mit Tropfen

■ Streng und erhaben wie beim Gottesdienst schleuderte Akram Khan beim Bremer Tanz-Festival seine Gliedmaßen um sich

Mönchisch ging es zu beim Auftritt der Akram Khan Company aus Großbritannien. Die Klamotten: eine schlottrige Mischung aus Schlafanzug und Kampfsportdress in Schwarz oder Weiß. Bühnenbild: keines. Requisiten: keine. Kahns Kopf: kahl geschoren. Zwei der drei Stücke waren Soli des aus Bangladesh stammenden Meisters, eines davon ein Film. Im dritten Stück agierten die drei Tänzer so autonom und doch zusammenpassend wie die Stimmen in einer Bach'schen Fuge. Und nach 50 Minuten war's vorbei, eine Tänzerin keucht, der Zuschauer ist erschöpft. Das alles atmete den Geist einer Etüde – und begeisterte dennoch.

Am Ende des ersten Teils kommt es sogar zu einem Anfall von Pathos: Khan hebt ein Bein an einem imaginären Marionettenfaden hoch, den er dann ebenso imaginär zerreißt. Das ist aber auch schon die einzige Tanzszene, die inhaltlich schwer aufgeladen war. Der Rest, ein Feuerwerk starker, eher abstrakter Gesten. Einmal tasten sich die Hände eine unsichtbare Wand entlang, so wie man es aus der Pantomime kennt. Dann agieren Hals und Arm gegenläufig, als gehörten sie zu zwei verschiedenen Körpern, wie unter Breakdancern gute Sitte – auch wenn Khan im Publikumsgespräch im Anschluss an die Aufführungen einen Breakdancebezug zurückweist. Ein andermal rollt sich der Arm geschmeidig wie ein Farn-Blatt auf und die Hand öffnet sich wie eine Blütenknospe als züngle darin der Heilige Geist höchstpersönlich: Da zeigt sich Khans intensive Auseinandersetzung mit dem Kathak. In diesem klassisch-indischen Stil wird den Händen ein Großteil der Ausdrucksarbeit aufgebürdet und vermutlich bekommen alle Tänzer gleich nach der Geburt sieben Zusatzgelenke in jeden Arm implantiert.

Obwohl sich das anhört als würde Khan den Multikulti tanzen, ist sein Stil alles andere als ein Konglomerat, sondern ganz eigen und geschlossen. Dabei geht es vermutlich um nichts Geringeres als Überwindung des Raum-Zeitkontinuums. Jedenfalls werden alle Bewegungen mit konzentrierter Ruhe geführt, bis zu einem Moment wo sie plötzlich losschnellen wie eine überspannte Feder. Der Zuschauer wundert sich, wie denn der Arm so schnell von einer Position zur nächsten kommt und in seinem Auge verschwimmen manche Drehbewegungen wie beim Rotieren eines Kreisel. Im Filmbeitrag sind diese Zauberstückchen unterstützt durch eine raffinöse Schnitttechnik. Und dabei wirkt alles so, als wäre es nicht die Kraft aus langjährigem Bodybuilding, welche die Muskulatur bewegt, sondern der pure Willen. Diese Leichtigkeit erinnert an Matrix, wo Keanu Reeves locker flockig von einem Hochhausdach zum nächsten hüpft. Und am Ende ist man fast enttäuscht, dass dann doch die Schweißtropfen nur so herumspritzen. Die Musik setzt dem reichen Bewegungsrepertoire die redundante Dauerschleifenhaftigkeit eines spröden Avantgarde-Technos entgegen. Und manchmal haben die Klänge den Charme von Düsenjets. bk