Durch die Schallmauer zum großen Geld

Als erste Frau kufenflitzt Claudia Pechstein die 3.000 Meter unter vier Minuten und bewirbt sich für ein Profiteam

CALGARY taz ■ Es gibt ja solche Marken im Sport: die zehn Sekunden im 100-Meter-Sprint zum Beispiel. Oder die 6 m im Stabhochsprung. Oder die 200 m beim Skifliegen. Schallmauer nennt man sie gemeinhin, und jene, die eine solche Schallmauer erstmals durchbrechen, haben sich ein bisschen Unsterblichkeit erworben. Gerade so wie der 100-Meter-Läufer Jim Hines, der zu einer Zeit 9,9 Sekunden lief, als die Hundertstel noch gar nicht gemessen wurden, 1968 in Sacramento nämlich; oder der Stabhochspringer Sergej Bubka, der 1986 in Moskau 6,01 m überquerte; oder der finnische Skispringer Toni Nieminen, der 1994 auf 203 Meter segelte. Oder die Berlinerin Claudia Pechstein, die am Samstag beim Weltcup-Finale im Eisschnelllauf in Calgary die Langstrecke über 3.000 Meter gewann. Exakt 3 Minuten, 59 Sekunden und 27 Hundertstel brauchte die 29-Jährige dafür, womit sie nicht nur Weltrekord lief, sondern als erster Frau überhaupt unter der Vierminutengrenze blieb. In der Welt des Eisschnelllaufs galt diese Marke lange Zeit als Schallmauer.

Claudia Pechstein war über die von ihr gesetzte Bestmarke natürlich „sehr überrascht“, gelegen kommt sie ihr allemal, nicht nur aus sportlicher, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht: Der Weltrekord dürfte der Berlinerin und ihrem Trainer Joachim Franke als wichtige Referenz im Buhlen um einen Platz in einem der niederländischen Privatteams dienen. „Die können mich anrufen, ich warte ab“, formuliert Pechstein ihre Bewerbung nicht eben zurückhaltend. In einem Interview mit der angesehenen niederländischen Sportzeitschrift Sport International hatte sie bereits zuvor eine Verbeugung vor dem Stellenwert des Kufenflitzens im Nachbarland gemacht: „In Holland ist Eisschnelllaufen so etwas wie Formel 1: großes Interesse, viel Geld, viele Teams. Warum sollte ich nicht für ein niederländisches Team laufen?“ Die Antwort auf solche Fragen liegt auf der Hand: In den Niederlanden verdienen Olympiasieger wie Ids Postma oder Gianni Romme leicht Beträge im Millionenbereich.

Dagegen hätte auch Claudia Pechstein prinzipiell nichts einzuwenden. Schon zu Beginn der laufenden Saison hatte die Olympiasiegerin von 1994 und 1998 bei SpaarSelect, dem millionenschweren Team des US-amerikanischen Trainers Peter Mueller, nachgefragt, so jedenfalls berichteten es damals niederländische Zeitungen. Mueller, selbst Goldmedaillengewinner von 1976 (1.000 m) und Coach so erfolgreicher Sportler wie Dan Janssen, Bonnie Blair (USA) oder Marianne Timmer und Gianni Romme, hatte allerdings wenig Interesse signalisiert. Ein Jahr vor den Spielen von Salt Lake City sich ausländische Konkurrenz ins Team zu holen, danach stand dem Mann aus Milwaukee mit deutschen Vorfahren ganz offenbar nicht der Sinn.

Doch nun hat Pechstein eben eine Schallmauer durchbrochen – und geradezu spitzbübisch bekundete sie danach ihr nach wie vor ungebrochenes Interesse an einem weiteren lukrativen Sponsor (neben Vita Cola als Hauptförderer der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft). „Die freie Werbefläche ist zu kaufen“, bietet sich die 29-Jährige feil, denkbar wäre eine Konstruktion wie bei der niederländischen TVM-Mannschaft: Zum Team von Allround-Weltmeister Rintje Ritsma gehören die Amerikaner Keessee Boutiette, Fitz Randolph sowie die beiden kanadischen Sprinter Jeremy Wotherspoon und Mike Ireland. Obwohl als Mannschaft zusammengefasst, trainieren die Athleten individuell und jeder für sich, was auch für Claudia Pechstein ein wichtiges Kriterium sein dürfte. Denn eines dürfte so sicher sein wie der Knall beim Duchbrechen der Schallmauer: Die Berlinerin will zwar in eines der kommerziellen Teams, ihren Trainer Joachim Franke in Berlin aber will sie ein Jahr vor Olympia auf keinen Fall verlassen. EGON BOESTEN