Misshandelt und geächtet

In Bangladesch werden jährlich 200 Frauen Opfer von Säureattentaten. Ihnen wird nicht nur Beistand verwehrt – sie sind auch ausgegrenzt

von BERNARD IMHASLY

„Zuerst war ich froh, dass er mir Säure ins Gesicht geschüttet hatte“, sagt Shirin Juwaley aus Bangladesch einer Journalistin, als diese über von Männern ausgehende Gewalt recherchiert. „Nun würden mir die Leute wenigstens glauben, dass mein Mann nicht so ein Engel ist, wie er immer scheint. Unglücklicherweise tun sie es immer noch nicht – wegen meines Gesichts.“

Nicht trotz, sondern wegen ihres Gesichts. Was wie ein eindeutiger Schuldbeweis aussieht – denn nichts kann eine solche Verstümmelung rechtfertigen –, wird zum Stigma, zum physischen Ausdruck einer Schuldzuweisung. Die Natur, das Schicksal kann sich nicht irren, genauso wenig wie früher, als eine rote Haartracht Frauen zu Hexen machte.

Gewalt in der Ehe ist in den Haushalten des indischen Subkontinents, dem größten Armenhaus der Welt, ebenso an der Tagesordnung wie im reichen Westen. Eine neue Untersuchung des Internationalen Rates für Frauenforschung (ICRW) schätzt, dass rund sechzig Prozent der Frauen, unabhängig von Klassen- oder Kastenzugehörigkeit, zu Hause misshandelt werden. Und mit Ausnahme einiger seltener Fälle bleibt die häusliche Gewalt Privatsache. Von den 7.250 Fällen, die etwa letztes Jahr bei der Polizeistelle für Gewalt gegen Frauen im indischen Neu-Delhi registriert wurden, betraf kein einziger physische Gewalt. Bei den meisten handelt es sich um Mitgiftstreitigkeiten.

Diese Öffentlichkeitsscheu hat nicht nur mit dem sprichwörtlichen Gesichtwahren in der asiatischen Gesellschaft zu tun. Zwar spielt auch dies eine Rolle, besonders bei Frauen, für die das Aufgehobensein in der Familie und der Gesellschaft – und damit der Konformitätsdruck – viel schwerer wiegt. Doch noch immer fehlt den meisten das nötige Selbstwertgefühl, das ihnen die Sicherheit gegenüber den Tätern geben würde. In einer aktuellen Studie gar rechtfertigen mehr als die Hälfte der befragten Frauen die erlittene Gewalt und geben sich selber die Schuld.

Doch das fehlende Unrechtsbewusstsein hat auch mit der Polizeipraxis zu tun. So wird häusliche Gewalt immer noch als Privatsache abgetan und Polizeibeamte weigern sich, gegen den Mann vorzugehen.

Doch die vermehrten, von amnesty international dokumentierten Säureangriffe sind auch Ausdruck wachsender Frustration und Verunsicherung der Männer. In Bangladesch etwa, wo die islamische Staatsreligion noch eine zusätzliche Schraube der Unterdrückung der Frau – und der Gewaltlegitimation des Mannes – darstellt, sind verunstaltete Frauengesichter Ausdruck eines schmerzhaften Emanzipationsprozesses. Dank der zahlreichen Nichtregierungsorganisationen, die Frauen fördern, gibt es immer mehr Frauen, die die neuen Möglichkeiten erkennen und sich beruflich verwirklichen. Die Reaktion auf diese Herausforderung eines religiös legitimierten Patriachats ist umso gewalttätiger, als die Armut viele Männer zwingt, dem Geldverdienen ihrer Frau zähneknirschend zuzustimmen.

Ein verunstaltetes Gesicht, so empörend es als Ausdruck von Gewalt und der Stigmatisierung des Opfers ist, ist auch ein Ausdruck dafür, dass Frauen zunehmend bereit sind, statt das Gesicht zu wahren, sich ihr eigenes zu erkämpfen.