Schlanke Magie

■ Der berühmte „Altus“ Jochen Kowalski entzückte in der Glocke – aber nur zum Teil

... doch erst einmal zu seinen BegleiterInnen, den „Deutschen Kammer-Virtuosen Berlin“. In Vivaldis Sinfonia alla rustica zeigten sie, wie stürmisch und schroff sie zu spielen verstehen. Wenn die Celli im Oktavsprung in die Tiefe abtauchen, grollt der Donner fast so heftig wie in Vivaldis Jahreszeiten.

Für ein Konzert mit Jochen Kowalski müssen die Zuhörerohren aber ganz fein justiert werden. Deshalb begann das Ensemble mit einem federleichten Mozart-Divertimento. Nachdem der Fließbandkomponist in den letzten 20 Jahren nach Brüchen und Ruppigkeiten rauf und runter abgetastet wurde, ist es heute wieder erlaubt und schön, wenn alles elegant gleitet wie ein Fluss ohne Stromschnellen und Wirbel. Natürlich gibt es hier mal eine pointierte Auftaktnote, dort mal eine sich nach vorne schiebende Cellostimme, aber nichts verhindert hemmungsloses Schwelgen in dem wunderbaren Streicherton dieser Virtuosi.

Dann Auftritt Kowalski. Mustergültig perfekt sitzt der Frack am schlanken Körper, bierernst ist die Miene, lange zieht sich die Konzentrationszeit dahin: Es war nicht ganz sein Tag. Dieser Ton, der so viel kräftiger strahlen soll als bei gewöhnlichen Counter-Tenören, leuchtet nur dezent. Und mit der Intonation klappt es bei Pergolesis „Salve Regina“ manchmal gar nicht. Die menschliche Stimme ist eben das verletzlichste, was es gibt. Bei Bachs Kantate „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust“ ist sie aber da, die Magie dieses schlanken, vibratoarmen Tons.

Wer diesen so angestrengt konzentrierten Menschen sieht, ist erstaunt über die launigen, relaxten Interviews, die mit ihm zu lesen sind, zum Beispiel im „Spiegel“. Dort meinte er vor ein paar Jahren: „An meine Stimme habe ich mich immer noch nicht gewöhnt“ – und erzählte vom Frust, der ihn überfällt, wenn er sein Vorbild Fritz Wunderlich hört. Anderen Idolen wie Zarah Leander oder Marika Rökk könnte der sentimentale Liebhaber alter UFA-Filmschinken schon näher kommen. Höhen bis zum f–– erzielt Kowalski. Und zwar nicht durch die Technik des Falsettierens. Es ist Natur – oder „eine Art Defekt“, wie er im „Spiegel“ schäkerte. Deshalb nennt er sich auch lieber „Altus“ als Counter-Tenor. Zur Erklärung des Phänomens ließ er sich mal eine Sonde in den Rachen rammen, die zeigte, dass die Bänder nur an den Rändern schwingen – möglicherweise die Folge einer Hirnhautentzündung, wurde spekuliert. Dieser „Defekt“ machte jedenfalls den Regisseur Harry Kupfer auf ihn aufmerksam und er landete im Reisekader der DDR. Dort kriegte er große Augen bei seinem ersten Besuch in einer Stripteaseshow auf der Reeperbahn und verprasste die ersten Westgagen für einen fetten BMW. Angeblich noch vor dem Film „Farinelli“ interessierte er sich für den italienischen Kastraten und regte den ebenfalls in der DDR zu Erfolg gekommenen Neutöner Siegfried Matthus zu einer entsprechenden Oper an. Er träumt davon, mal in Bayreuth zu singen. Aber welche Rolle?

So einem Mann verzeiht man auch eine kleine Formschwäche. Und als dann auch noch das Streicherensemble dem (ziemlich rasch genommenen) zweiten Satz von Bachs berühmten Konzert für zwei Violinen mit merkwürdigen Betonungen auf Schlag drei eine interessante kipplige Note verlieh, war alles gut. bk