Wunderkammer sucht Heim

Nach der Schau ist vor der Schau: Die Macher der viel gerühmten „Theatrum“-Ausstellung im Berliner Gropius-Bau fordern nach ihrem Ende ein Wissenschaftsmuseum in der Hauptstadt. Eine Illusion?

von PHILIPP GESSLER

Die Kunst hat gewonnen. Beim Tischtennisturnier gegen die Natur hat Prof. Henning Wrede vom Winckelmann-Institut, dem Seminar für Klassische Ärchäologie der Humboldt-Universität zu Berlin, die entscheidenden Punkte am grünen Tisch eingeheimst. Der Experte für den „archäologischen Beitrag der Antiquare zur Entstehung eines europäischen Kulturkonzepts in Renaissance und Barock“ sowie für die „Bildnisse griechischer Philosophen“ war der Sieger im Wettstreit Kunst versus Natur im Martin-Gropius-Bau in Kreuzberg.

Zum Abschlussabend der viel gerühmten „Theatrum naturae et artis“-Ausstellung, die 66 Tage lang die etwa 1.200 schönsten und spektakulärsten Objekte aus Sammlungen der Institute an der Humboldt-Universität zeigte, spielten die Ausstellungsmacher noch einmal mit den Widersprüchen, die sie in ihrer Schau zu überwinden versuchten.

Den nur scheinbaren Gegensatz nämlich zwischen Natur und Kunst, zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, zwischen Kultur und Forschung wollte die große Schau auflösen. Und da immerhin etwa 80.000 Besucher sich von diesen Schätzen der Humboldt-Universität und dem Konzept der „Wunderkammern des Wissens“ faszinieren ließen, war fast zu erwarten, was denn auch als Forderung aufkam: Man müsste diese Ausstellung verstetigen. Berlin, ja die Bundesrepublik brauche ein Wissenschaftsmuseum, das die Wunder und Erkenntnisse der Geistes- und Naturwissenschaften zeigen könnte. Ein Museum, das durch seine Objekte das Interesse an den Wissenschaften wecke, wie einer der Ausstellungsmacher, Prof. Jochen Brüning vom Institut für Mathematik, es ausdrückte. Eine ständige Ausstellung, die den ersten Schritt jeder wissenschaftlichen Erkenntnis fördere – die Neugierde, das Staunen. Die „Kluft“ zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sollte damit zumindest ein wenig überbrückt werden.

Der Präsident der Humboldt-Universität, Prof. Jürgen Mlynek, selbst Physiker, sagte es rundheraus: Die Sammlungen dürften nicht wieder in den Kellern verschwinden. Man brauche einen Ort, wo sie gemeinsam im Dialog auch in Zukunft bewundert werden könnten. Dazu brauche es aber der Hilfe von staatlicher oder privater Seite. Etwa 5.000 Quadratmeter brauche man für eine solche Schau, auf mögliche Sponsoren gehe man derzeit zu. Denn die Ausstellung und ihr Erfolg sei zugleich ein „Aufruf zum Handeln“ gewesen, eine Stätte zu schaffen, wo man sagen könne: „Hier lebt die Wissenschaft.“ Auch Prof. Joachim Treusch von der „Hermann von Helmholtz Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren“ blies ins selbe Horn: Der Dialog zwischen der Wissenschaft und Gesellschaft wie zwischen Natur- und Geisteswissenschaften sei nötig, und Berlin habe da aufgrund seiner Tradition als alte Wissenschaftsstadt und Herkunftsort des universalen Bildungsideal Humboldts eine besondere Verantwortung.

Doch Kunst braucht Geld, und so war Kultursenator Christoph Stölzl in der unglücklichen Lage, abwiegeln zu müssen: Es sei zu empfehlen, ein derartiges Wissenschaftsmuseum „in den Blick zu nehmen“, sagte er unverbindlich. Aus der „Theatrum“-Ausstellung, die „ein großer Wurf“, gewesen sei, könne „mehr werden“. Doch, leider, sei es derzeit mit der Finanzierung eines solchen Projekts schwierig, schließlich würden solche Vorhaben stets zur Hälfte jeweils vom Bund und dem Land geschultert, in dem ein solches Museum entstehe. Immerhin habe man Bewegung in die Diskussion gebracht, und das könne der Beginn von allem sein. Schließlich sei aus der Berliner Preußen-Ausstellung von 1981 auch nach jahrelangen Diskussionen das Deutsche Historische Museum Unter den Linden entstanden – und „so schrecklich lang muss es nicht dauern“, fügte der Senator als Trost hinzu.

Beim Bund zeigt man sich ob dieser Anregungen eher zugeknöpft: Es sei nicht beabsichtigt, neue Museen zu gründen, heißt es im Verantwortungsbereich von Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, angesiedelt im Bundeskanzleramt. Der Grund ist banal, es fehle das Geld. Dennoch gebe es „sicherlich ein Bedürfnis“ nach einem Museum, das dem Konzept der „Theatrum“-Ausstellung verpflichtet sei, da sei „alles mögliche denkbar“. Allerdings erschwere auch die Verantwortung der Länder für das Museumswesen ein solches Projekt. Argwöhnisch beäugten sie jede kleinste Bestrebung des Bundes, in ihrer Kulturhoheit zu wildern. Der Versuch, privates Geld für ein Museum nach dem „Theatrum“-Vorbild zu sammeln, sei lohnenswert, schließlich engagierten sich etwa der Siemens- und BMW-Konzern auch auf kulturellem Gebiet. Aber könnte nicht auch ein Substanzverlust drohen beim Versuch, all das zusammenzufassen, was das Humboldt’sche Bildungsideal verlange?

Das ficht Prof. Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, nicht an. In den Brüdern Humboldt verbinde sich auf klassische Weise Kunst und Wissenschaft. Das „Berliner Programm“ der beiden Universalgelehrten wollte immer „das Ganze“. Eine „Verstetigung der Ergebnisse“ der Ausstellung sei angebracht, und ein guter Ort für eine solche ständige Schau wäre auch schon denkbar: Das Schloss habe eine Fläche von 150.000 Quadratmetern gehabt – viel Platz für „große Überlegungen“. Der einzige Nachteil ist, dass keiner derzeit sagen kann, ob das Schloss jemals wieder auf der Asphaltfläche zwischen der Prachtstraße Unter den Linden und dem Staatsratsgebäude in Berlin-Mitte entstehen wird. Eine Kommission versucht derzeit zu klären, ob und wie es wieder aufgebaut werden soll – und was dann mit dem kaputtsanierten „Palast der Republik“ passieren könnte.

Der Kunstgeschichtlicher Prof. Horst Bredekamp, der andere Ausstellungsmacher der „Theatrum“-Ausstellung, zeigt sich jedenfalls fasziniert von dem Gedanken, im womöglich wieder entstehenden Schloss der Hohenzollern eine solche Ausstellung der Sammlungen der Humboldt-Universität einzurichten. Er verweist darauf, dass einige Objekte aus den Sammlungen der Universität ursprünglich aus der Königlichen Kunstkammer in einem Flügel des Schlosses stammten – Objekte, die auch in seiner Ausstellung zu sehen waren. So wäre ein Museum aus den Objekten der „Wunderkammer“-Schau im Schloss eine Art Rückkehr. Doch bis dahin müssen noch einige Wunder passieren.