Hass von Frau zu Frau

DAS SCHLAGLOCH
von VIOLA ROGGENKAMP

Neben diesem offen und geradezu Beifall heischend vorgeführten Mutterhass steht verhüllt der Vaterhass

„taz muss sein, damit auch Tussis mitreden können.“ (Bea Masala, Sängerin, Schauspielerin, Tänzerin, in der taz vom 11. 2. 01)

Seit geraumer Zeit stellt diese Zeitung ihrer Aktion „taz muss sein“ eine ganze Seite zur Verfügung. Daraus ist inzwischen eine Prominentenarena geworden, in der mehr Männer als Frauen sich täglich Mühe geben, etwas Originelles zur Daseinsberechtigung der taz zu äußern. Die Argumente sind nicht immer begnadet, und selten gelang bisher ein Leitspruch, wie ihn jüngst die Künstlerin Bea Masala geschrieben hat (siehe oben).

Doch soll man einen taz-Befürworter seines Argumentes wegen für die Existenz der taz in der taz attackieren? Man soll nicht. So viel Dummdreistigkeit verbietet sich von selbst, sogar im Rahmen von Meinungsfreiheit. Mit einer Ausnahme: Wenn eine Frau einer Frau einen Schlag unter die Gürtellinie verpassen will, ist dafür immer Platz. Die taz-Autorin Kathrin Passig (jüngste Buchveröffentlichung über Sadomasochismus) ließ sich unlängst auf der „Wahrheit“-Seite über „Sex und Gewalt und schmächtige Männchen“ vernehmen. So die Überschrift. Im Text ging es um „Genderkram, was noch vor ein paar Jahren einfach Frauenforschung hieß“. Als Schlusspointe kam es dann: „Die Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, Inge von Bönninghausen, hat kürzlich erklärt: ‚taz muss sein, weil nur sie das Zeug hat, mit einer täglichen Gender-Seite noch besser zu werden.‘ Ich weiß nicht, wie Frau von Bönninghausen sich das vorstellt. Jeden Tag kann nun wirklich niemand diese Genderdinge ertragen.“

Was ist es, das Frauen Lust macht, eine andere Frau öffentlich mal eben vorzuführen? Und zwar ohne Not! Und erst recht nicht in einer geschliffenen Auseinandersetzung. Viel lieber völlig ohne Sinn und Verstand, und besonders gern, wenn diese andere Frau sich mit dem Mann konfrontiert. Am liebsten dann die andere meucheln.

Es geht um Hass. Er ist zu spüren. Genauer gesagt: um den Frauhass einer Frau. Noch genauer gesagt: um Mutterhass. Und neben diesem offen und geradezu Beifall heischend vorgeführten Mutterhass steht verhüllt der Vaterhass eben dieser Frau.

Wie Elektra ihre Mutter Klytämnestra hinschlachten ließ im Bett ihres toten Vaters Agamemnon, der ja doch der Mörder seiner und Klytämnestras Tochter Iphigenie gewesen ist, der Schwester Elektras, so kann die Frau von heute die andere Frau benutzen und entwürdigen, um eigene Hassgefühle vorübergehend zu stillen.

Auf unser Beispiel übertragen ist die taz-Autorin Frau Passig diese Tochter Elektra und ist die Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, Frau von Bönninghausen, die gehasste königliche Mutter Klytämnestra, obendrein eine feministische Mutter. Klytämnestra von Bönninghausen hatte die einst tägliche Frauenseite der taz mit dem vorsichtigen postfeministischen Wort Gender-Seite wieder eingefordert, ein von den Töchtern aufgegebenes altes Mutterrecht. Ob Elektra das nun passt oder nicht, Klytämnestra war gebeten worden und hatte ihre „taz-muss-sein“-Gelegenheit wahrgenommen, ein Stück verlorenen Frauenboden zurückzuverlangen.

Dass sich aber jetzt nicht etwa alle feministischen Mütter zufrieden zurücklehnen! Sie sind auch Töchter und können ihre Töchter durch subtile Entwertung lähmen. Wann immer Frauen hierzu befragt werden und rasch ins Erzählen kommen, weiß jede von sich als Opfer zu berichten, keine jedoch von sich als Täterin an der anderen Frau.

Elektra, die sich in der Identifikation mit ihrem Vater vom entwerteten mütterlichen Frauenbild unterscheiden will und in einer verdeckten Rivalität mit dem toten wehrlosen Vater als dessen Rächerin sich emanzipiert, buhlt damit auch um die Gunst des toten Vaters und fürchtet und erfährt von jedem Mann doch immer wieder, nicht ebenbürtig zu sein. Denn nicht der Mann glaubt, die Konfrontation mit ihr nötig zu haben, sondern sie mit ihm. Nicht sie, sondern er sitzt an der Macht. Und wenn nicht er, dann sein Sohn, aber nie seine Tochter.

Ihr Bruder Orest erschlägt die Mutter, und Elektra, die jahrelang die Waffe des toten Vaters bewahrt hatte für ihre mörderische Rache an der Mutter, vergisst im letzten Moment, Orest das Beil Agamemnons mitzugeben. Hat das nicht auch etwas Rührendes? Die tödliche Waffe des ermordeten Vaters in ihrer Hand, kann die Tochter offenbar doch nicht gegen die Mutter richten. Keineswegs aus Sentimentalität. Keineswegs aus Mitleid mit der Mutter. Es ist nur so, dass die beiden Frauen etwas gemeinsam haben in ihrem Dilemma mit dem Mann.

„Ich weiß nicht, wie Frau von Bönninghausen sich das vorstellt. Jeden Tag kann nun wirklich niemand diese Genderdinge ertragen“, schrieb die taz-Autorin, und in ihrem giftigen Wort gegen die feministische Mutter schwingt da nicht etwas mit, worin sich Klytämnestra von Bönninghausen und Elektra-Passig wiederfinden könnten? Ein Klageruf seit alters her: diese Genderdinge! Frau muss sie jeden Tag ertragen.

Wenn Elektra in ihrem Hass auf die verinnerlichten Bilder von Mutter und Vater sich gegen ihr eigenes Geschlecht wendet, scheint sie den Mann höher zu bewerten und zu verschonen, dessen sexuelle Beachtung sie begehrt. Sie hasst den Mann in der Mutter.

Was ist es, das Frauen Lust macht, eine andere Frau öffentlich mal eben vorzuführen? Und zwar ohne Not!

Ihre Wut darüber, wie der Mann mit ihr umgeht – mit ihr auch! –, können Mutter wie Tochter gegeneinander richten. Je nachdem, welche von ihnen sich auf einmal mutig dem Mann entgegenstellt und seine Täterschaft an der Frau benennt, wirft sich die andere ihm in die Arme. Nicht um ihn aufzuhalten, sondern um seinen Frauenhass zu verhüllen. Mutter wie Tochter sind auf ihn angewiesen. So sind die realen Machtverhältnisse.

Mutter wie Tochter können sich ihm als die bessere Frau anbieten und ihm darin Anerkennung vorgaukeln, obwohl sie ihn heimlich verachten. Mutter wie Tochter richten ihre Verachtung lieber gegen die andere Frau und attackieren sich in gegenseitigem Selbsthass. Eine Lösung ihres Dilemmas mit dem Mann ist das nicht. Nur eine Verschiebung auf die andere Frau. Sie scheint praktisch zu sein, diese Verschiebung, und vor allem gefahrloser. Gerade das ist sie aber nicht – nicht für die weibliche Seele.

Dem weiblichen Selbsthass geht Diskriminierung, Ausbeutung, Entwertung von Frauen voraus – drei Säulen der patriarchalen Gesellschaft. Doch nicht nur Männer fürchten sich vor der potenten und womöglich gar potenteren Frau. Auch Frauen. Neid zwischen Frauen ist der perverse Ausdruck eigenen Elends.

Es ist – viel zu wenig bedacht – für die Tochter nicht allein der anerkennende Blick des Vaters, des Mannes, wichtig. Wichtiger noch für ihr weibliches Selbstbewusstsein scheint mir gerade der anerkennende und liebevoll begehrende Blick der wissenden Frau, der Mutter auf ihre Tochter. Die Situation zwischen Frauen ist angstbesetzt: die Frau zu verlieren, bevor noch der Mann gewonnen ist? Die Frau zu verlieren, ohne den Mann zu gewinnen? Die Frau überhaupt zu verlieren! Denn der Mann ist kein Ersatz für die Frau.