Bulmahn auf Margot Honeckers Spur

Bildungsministerin Bulmahn befürwortet Elitekonzept der DDR-Volksbildungsministerin: Schülerolympiaden

BERLIN taz ■ Es war genau der richtige Ort, an dem Edelgard Bulmahn ihr neues Verständnis von Elitenbildung präsentierte. Im Osten Berlins, wo man die Kinder früher an Spezialschulen und bei der „Messe der Meister von Morgen“ zu Höchstleistungen antrieb, hielt die Sozialdemokratin und Bildungsministerin der Bundesrepublik Deutschland ihr Plädoyer für ein neues Elitekonzept: „Tatsache ist doch, dass wir – Gesellschaft und Wirtschaft – eine Leistungselite brauchen.“

Bulmahns Beitrag eröffnete einen zweitägigen Kongress an der Humboldt-Universität zu Berlin, der sich dem „Finden und Fördern von Begabungen“ widmet. Die Rede der umtriebigen Bildungsministerin dürfte alte Sozialdemokraten genau wie überzeugte SED-Bonzen überrascht haben. Das alte Motto der SPD, dass Chancengleichheit in der Förderung sozial Benachteiligter liege, ist nämlich seit gestern obsolet. „Auch hochbegabte Kinder“, so sagte Bulmahn nun, „brauchen günstige Entwicklungsbedingungen, um ihr Begabungspotenzial entsprechend entfalten zu können.“ Das war die erste Überraschung.

Die zweite Überraschung war die: Damit Hochbegabte ihren Weg vom Talent zum Spezialisten auch finden, greift Bulmahn auf das Förderkonzept ihrer Exkollegin Margot Honecker zurück. Unter der Volksbildungsministerin der DDR gab es Fach-Olympiaden. Unter der Bundesbildungsministerin wird es Schülerolympiaden geben. Für die „Begabtenforschung“ will Gerhard Schröders Schulministerin Bulmahn mehr Geld zu Verfügung stellen – wie einst die DDR. Für die Honeckers war die Begabtenforschung zu DDR-Zeiten ein beliebter Wissenszweig, um herauszufinden, wie man „allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeiten“ auch ganz einseitig fördern könne.

Bulmahn begründete ihren Richtungswechsel mit einem Missverständnis: Der Begabtenförderung habe das Image angehaftet, „es gehe um den Schutz von materiellen Privilegien, man dachte an teure Internate und exklusive Zirkel in der Wissenschaft“. Darum gehe es aber nicht.

Studien hätten nämlich gezeigt, so Bulmahn, dass echte Chancengleichheit nicht existiere. Je größer ein Unternehmen, desto stärker schlage sich die soziale Herkunft als Karrierefaktor nieder. Eine Personalberatung habe etwa herausgefunden: „Leistung ist kein Differenzierungsmerkmal der Elite mehr, wohl aber die soziale Herkunft.“ In der Tat zeigen Untersuchungen, dass Spitzenpositionen in der Wirtschaft nicht nach transparenten Kriterien an Bewerber vergeben werden, sondern nach dem Pinzip der so genannten Selbstrekrutierung der Eliten.

Bulmahn und der Kongress wollen dieses Problem an der vermeintlichen Wurzel anpacken, in den Schulen. Die Themen dort lauten unter anderem: „Begabungsdiagnose im Vor- und Grundschulalter“ oder „sozialintegrative Konzepte jüngerer Kinder mit besonderen Begabungen“. CHRISTIAN FÜLLER