Union stellt Scharping zur Rede

Ist die Bundeswehr noch einsatzbereit? Braucht der Verteidigungsminister einen Nachtragshaushalt? Eine Debatte im Bundestag soll bald Klarheit bringen. Doch zunächst erklärt sich Rudolf Scharping (SPD) seinem neuen Kollegen in Washington

von BETTINA GAUS

Begleitet von innenpolitischem Trommelfeuer der Opposition reist Verteidigungsminister Rudolf Scharping heute zu einem ersten Gespräch mit seinem neuen US-Kollegen Donald Rumsfeld nach Washington.

Nach Angaben seines Vorgängers Volker Rühe (CDU) wird sich Scharping dort auf schwierigem Gelände bewegen. Rühe hat Rumsfeld schon in der vorigen Woche besucht und erklärte gestern in einem Interview, die US-Regierung beobachte die Entwicklung des deutschen Verteidigungsbudgets und die unklare Haltung der rot-grünen Regierung zum geplanten Raketenabwehrsystem NMD mit Sorge.

„Die Fragen an Berlin werden zunehmen,“ sagte Rühe. Zunächst einmal mehren sich allerdings vor allem die Fragen in Berlin. Die Opposition will die Berichte über eine angebliche akute Unterfinanzierung der Streitkräfte zum Anlass für eine Bundestagsdebatte über die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nehmen. Heute ist das Thema Gegenstand von Beratungen im Verteidigungsausschuss.

In einem Papier des Führungsstabs der Streitkräfte, das am Wochenende offenbar gezielt an mehrere Medien lanciert worden ist, wird Scharping vor einem Defizit von rund 300 Millionen Mark gewarnt, von dem der Löwenanteil auf die Luftwaffe entfällt. Sollte sich daran nichts ändern, müsse erwogen werden, Zusagen an die Nato zurückzunehmen.

Fast ebenso interessant wie diese Aussagen ist die Antwort auf die Frage, wer das Papier an die Öffentlichkeit gebracht hat. Auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, hat kürzlich erklärt, die Armee sei in Teilbereichen nicht mehr voll einsatzfähig.

Da Kujat als enger Vertrauter von Scharping gilt, ist nun aus Kreisen der Koalition zu hören, der Verteidigungsminister habe die brisanten Informationen selbst gestreut, um eine „Drohkulisse“ für das Jahr 2002 aufzubauen. Andere glauben, interne Gegner der Bundeswehrreform in den Reihen der Regierungsfraktionen seien für die Indiskretionen verantwortlich: Die Gerüchteküche brodelt.

Die Unionspolitiker Hans-Peter Repnik und Michael Glos haben die Bundesregierung zu einem Nachtragshaushalt aufgefordert, um den Streitkräften die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Scharpings Sprecher Detlef Puhl hatte hingegen erklärt, die internationalen Verpflichtungen könnten „zunächst einmal mit dem Haushalt, der verabschiedet worden ist“, eingehalten werden.

Vor dem Hintergrund der innenpolitischen Aufgeregtheiten mag Scharping die Aussicht auf einen zweitägigen Auslandsaufenthalt fast als erholsam betrachten – zumal das Gespräch mit seinem US-Amtskollegen nach den überraschenden Äußerungen des Bundeskanzlers zum Thema NMD voraussichtlich entspannter verlaufen dürfte, als zunächst erwartet worden war.

Nachdem die rot-grüne Bundesregierung ursprünglich aus ihrer skeptischen Haltung zu den US-Plänen kein Geheimnis gemacht hatte, hatte Schröder vorige Woche in einem Fernsehinterview erklärt, NMD könne auch positive Effekte für den Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland haben.

Scharping scheint keine Schwierigkeiten zu haben, die Linie des Kanzlers mitzutragen. Von einem Kurswechsel der Bundesregierung zu sprechen sei eine verfehlte Interpretation, hieß es gestern im Verteidigungsministerium. Die Regierung habe stets auf die Notwendigkeit einer gemeinsamen Bedrohungsanalyse hingewiesen und ihren Anspruch angemeldet, an der Diskussion beteiligt zu werden. Daran habe sich nichts geändert.